JESUS CHRIST SUPERSTAR – Opernhaus Bonn

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Premiere am 13.10.2013

Jesus Christus – die Geschichte der letzten sieben Tage – in hochmoderner Inszenierung

Wer jetzt eine Inszenierung getreu dem biblischen Vorbild und dem Jesus-Gemälde auf dem Cover des Programmheftes erwartet, wird sich verwundert die Augen reiben. Das Ziel des Regisseurs Gil Mehmert ist es nämlich, die Bibel-Geschichte als Parabel aufzuzeigen – eine Geschichte, in der der Anführer einer Gruppe kometenhaft aufsteigt und dann bis in den eigenen Untergang abstürzt und die problemlos auf die heutige Zeit übertragen werden kann. Jesus ist der Anführer einer Gruppe, die seine Ziele missversteht und so einen Schritt zu weit geht und die Ziele mit Brutalität und Gewalt durchsetzen will.

Und so beginnt das Stück mit einer Slomo der Gerichtsverhandlung, die dann später folgt. Das Kreuz liegt zu zwei Dritteln auf der Bühne, das letzte Drittel liegt über den ersten drei Reihen im Zuschauerraum. Auf dem Kreuz liegt Jesus, bekleidet mit Jeans und Shirt, und zuckt unter jedem Peitschenhieb von Pilatus zusammen. Die Ensemble-Zuschauer auf den Rängen gehen bei jedem Peitschenhieb fanatisch mit. Dann verlassen die Zuschauer die Bühne, Jesus und Judas als die beiden Hauptakteure des Stücks bleiben allein zurück.

Der Aufzug der Anhänger Jesus’ ähnelt einem Hippie-Meeting mit Gitarre und Flower-Power und während sich Jesus dabei schon zu fragen scheint, ob ihm die Sache nicht langsam aus den Händen gleitet, hinterfragt Judas das Geschehen mit Heaven on their Minds.

Bei What’s the Buzz wandelt sich die Szenerie in eine Demonstration für Jesus mit Banner und Plakaten – und auch in den Zeitungen wird auf den Titelseiten groß über den „Superstar“ berichtet. Unter den Demonstranten befindet sich auch Maria Magdalena, zu der Jesus sich hingezogen fühlt. Dies missfällt Judas und er sagt Jesus, dass er mit Maria Magdalena nur seine Zeit verschwende. Jesus jedoch steht zu Maria Magdalena. Judas bringt die Gruppe mit Strange Thing, Mystifying gegen Jesus auf. Maria Magdalena schafft es jedoch, mit Everything’s Alright die Gruppe, die sich in Pärchen aufteilt, und auch Jesus und Judas, die beide ihren Kopf in Maria Magdalenas Schoß legen, zu beruhigen.

Der Schauplatz wechselt. Von oben wird eine Brücke herabgelassen, auf der die Hohepriester stehen. Diese tragen lange Mäntel und erinnern damit stark an Bilder aus der NS- oder Stasi-Zeit. Die Priester lesen die Zeitungen mit den Schlagzeilen über den „Superstar“ und kommen zu dem Ergebnis: This Jesus Must Die. Mit Hosanna folgt dann vor den Augen der Priester ein triumphaler Einzug von Jesus, umringt von seinen Anhängern, bei dem Jesus den Priestern erklärt, dass seine Bewegung nicht aufzuhalten sei, was wiederum diese darin bestärkt, ihn loswerden zu wollen. Jesus geht durch die Reihen seiner Anhänger, um ihr Verlangen nach seiner Nähe zu erfüllen, als plötzlich rechts und links auf den Rängen Polizisten mit Schlagstöcken und Schutzschilden auftauchen. Die Szene erinnert an die aus den Medien bekannten Bilder von Kernkraftgegnern, die sich der Polizei gegenüber sehen. Den Polizeiaufmarsch nimmt Simon Zealotes zum Anlass, die Anhänger zur Gewalt aufzurufen. Die Gruppe wird durch die Sticheleien von Simon immer gewaltbereiter und greift zu Stöcken, während Jesus und Judas abseits stehen und das Treiben verzweifelt und machtlos beobachten. Jesus versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln und bleibt, nachdem der Aufruhr sich aufgelöst hat, allein zurück, um mit Poor Jerusalem seiner Verzweiflung über den Verlauf der Dinge Ausdruck zu verleihen.

Von einem Aufenthalt bei einer Prostituierten kommt dann ein Mann, nur mit einem langen weißen Tuch um die Hüften bekleidet, auf die Bühne. Es ist Pilatus, der drogenabhängig ist, sich einen Schuss setzt und dann mit Pilate’s Dream die Erscheinung hat, Jesus nicht töten zu lassen.

Dann ändert sich das Bühnenbild wieder rasch, ein weißer Vorhang, der den Tempel symbolisieren soll, wird herabgelassen. Im Tempel herrscht frivoles Treiben, auf dem Kreuz eine „Modenschau“ mit blanker Brust (auch wenn es nur eine Attrappe war), ein schwuler Conferencier und Zuschauer in Glitzerjacketts. Jesus erscheint im Tempel und beendet entsetzt das Treiben, der weiße Vorhang fällt in sich zusammen und zurück bleibt ein enttäuschter und verzweifelter Jesus, der sich diese Ausschweifungen im Tempel nicht erklären kann. Während er überlegt, wie es weitergehen soll, kommen die Armen und Kranken auf ihn zugekrochen und bitten um seine Hilfe. Er fühlt sich von ihren Bittstellungen überfordert, doch kann er sich nicht dagegen wehren. Sie heben ihn hoch und tragen ihn mit ihrer Masse, er ist ihnen und der Situation hilflos ausgeliefert.

Nachdem die Armen und Kranken Jesus wieder freigegeben haben und ihn verzweifelt zurücklassen, erscheint Maria Magdalena und tröstet Jesus, von Judas beobachtet, mit Everything’s Alright (Reprise). Im hinteren Teil der Bühne erscheint ein Bett, zu dem Jesus geht, sich auszieht und hineinlegt. Währenddessen steht Maria Magdalena vorne an der Bühne und fragt sich I don’t know how to love him. Dabei zieht auch sie sich aus und steht nur noch mit dunkelgrauen Spitzendessous bekleidet am Bühnenrand. Sie zieht ein langes weißes Shirt über und steigt zu Jesus ins Bett. Judas, der die ganze Szene beobachtet hat, verzweifelt ob der Situation immer mehr und fasst den folgenschweren Entschluss, Jesus an die Hohepriester zu verraten. Er wartet nervös wie ein Informant auf seinen Kontaktmann. Mit Scheinwerfern wird dann ein Auto auf der Bühne simuliert, aus dem zwei Priester aussteigen. Sie geben Judas einen Metallkoffer (Blood Money) und nehmen seinen Verrat an Jesus mit dem Smartphone auf.

Akt 2

Jesus und seine Jünger sammeln sich zum letzten Abendmahl (The Last Supper), ausgestattet mit Schlafsäcken, Wasserpfeifen und Weinflaschen – und wieder fühlt man sich an ein Treffen von Kernkraftaktivisten erinnert, die auf den Atommülltransport warten. Während des Essens prophezeit Jesus, dass einer der Jünger ihn verraten würde. Judas zweifelt in diesem Augenblick, ob er es wirklich tun soll, doch nach einer Auseinandersetzung mit Jesus verlässt er zornig den Ort des Geschehens.

Während die Jünger sich mit ihren Schlafsäcken hinlegen, bleibt Jesus allein mit Gethsemane zurück.

Dann erscheinen, angeführt von Judas, Polizisten mit Maschinengewehren, die Jesus nach dem Judas-Kuss verhaften. Die Jünger begehren gegen die Verhaftung auf, einer entwaffnet sogar einen Polizisten und richtet die Waffe auf die Polizei. Jesus fordert ihn jedoch auf, die Waffe zu senken, worauf die Jünger mit den Maschinengewehren zurückgedrängt werden. Sofort sind Reporter zur Stelle, die versuchen, Jesus zu interviewen. Auch hier fühlt man sich an das Reportergedränge aus aktuellen Fernsehbildern erinnert.

Zur Gerichtsverhandlung erhalten die Zuschauer nur Einlass nach einer Körperkontrolle auf Waffen. Auch Petrus und Maria Magdalena wollen zur Verhandlung und in diesen Rahmen wird Peter’s Denial eingebaut.

Dann befindet man sich wieder in der Anfangsszene mit Zuschauern auf den Rängen. Verkäufer gehen durch die Reihen und bieten Getränke an, man fühlt sich in eine Kampfarena versetzt, in der der Kämpfer (Jesus) von Pilatus befragt wird, warum er nicht kämpft. Dann taucht Herodes in einem roten Anzug auf und in einer Art Revueshow mit Stepeinlagen wird Jesus verhöhnt (Herod’s Song).

Jesus wird abgeführt und Judas erscheint mit dem Geldkoffer in der Arena. Er wirft den Zuschauern das Geld vor die Füße (Judas’ Death), wird von diesen jedoch ausgebuht und mit Trinkbechern beworfen. Judas greift sich eine Gitarre, worauf die Zuschauer mit Knicklichtern die Atmosphäre eines Popkonzerts vermitteln. Dann wird Judas von Polizisten hinausgeworfen. Während Jesus in orangefarbenem Overall, welcher eine Assoziation an die Kleidung von Guantanamo-Häftlingen bewirkt, zu einem Mikrofon auf dem Kreuz geführt wird, erscheint im Hintergrund die Silhouette des erhängten Judas.

Pilatus, drogenabhängig vielleicht als Symbol für eine abhängige Gerichtsbarkeit, verhört Jesus erneut, doch da er keine Antworten bekommt, peitscht er ihn aus, von der Menge frenetisch angefeuert (Trial before Pilate / 39 Lashes). Als auch die Auspeitschung nicht die von ihm erwünschte Wirkung zeigt, lockert Pilatus, der an seinen Traum denkt, verzweifelt die Krawatte, denn der Mob drängt ihn zur Kreuzigung.

Es erscheint von oben auf der Brücke Judas in einem weißen Anzug. Cheerleader tauchen auf und feiern zusammen mit ihm den Superstar. Zum Schluss wird aus den Cheerleader-Püscheln ein Kreuz gebildet.

Jesus liegt nach der Auspeitschung immer noch auf dem Kreuz, hält sich am Mikrofonständer fest und lässt alle Verhöhnungen kommentarlos über sich ergehen. Dann erscheinen Männer mit schwarzen Masken und Kapuzen und schlagen Jesus ans Kreuz. Das Kreuz, das beleuchtet ist, wird hochgezogen. Während Jesus nach Wasser verlangt (Cruxifiction), werden unter dem Kreuz Bierdosen verteilt.

Mit Jesus’ Tod erlischt die Kreuzbeleuchtung, das Kreuz dreht sich, so dass die Rückseite zum Publikum zeigt und der Mob geht. Maria Magdalena erscheint mit einer Friedhofskerze und einer roten Rose. Ihr folgen andere Menschen, ebenfalls mit Kerzen, Blumen und Abschiedszetteln, die als Abschiedsgruß am Kreuz niedergelegt bzw. angebracht werden und an die Medienbilder nach einem Amoklauf erinnern.

Die drei Hauptrollen Jesus (Mark Seibert), Maria Magdalena (Patricia Meeden) und Judas (David Jakobs) sind durchweg erstklassig besetzt.

Mark Seibert, eine feste Größe in der Musicalbranche, weiß auch als Jesus zu überzeugen. Er ist in jeder Sekunde in der Rolle und bringt die Hoffnung und die Verzweiflung von Jesus glaubhaft rüber. Besonders nach der Auspeitschung macht er einen derart „gepeinigten“ Eindruck, dass man ihm am liebsten zu Hilfe eilen möchte. Auf dem Kreuz liegend, schaut er über das Publikum hinweg und man erwartet, er würde wirklich jeden Augenblick vor Schmerz und Verzweiflung zusammenbrechen. Eine großartig intensive, schauspielerische Leistung. Stimmlich bildet er zu dem eher „härteren“ Judas einen angenehmen Kontrast und sein berührendes Gethsemane hat die Bravo-Rufe beim Schlussapplaus auf alle Fälle verdient.

Patricia Meeden, auch fest im Musical-Sattel, hat eine angenehme Soul-Stimme und ihr I don’t know how to love him geht unter die Haut. Von ihr hätte man gesanglich gerne mehr gehört.

David Jakobs, bisher eher einem breiteren Publikum noch nicht so bekannt, geht auch im Zusammenspiel mit Mark Seibert nicht unter. Seine „härtere“ Stimme bringt seine Zweifel an den ganzen Vorgängen gut zum Ausdruck, während er gleichzeitig auch verletzlich wirken kann. Man nimmt ihm die Zerrissenheit Judas’ voll und ganz ab.

Auch die anderen Hauptrollen passen ins Stück. Allenfalls Alexey Smirnov als Kaiaphas brummt bei den tiefen Tönen doch etwas zu sehr.

Positiv zu erwähnen ist weiterhin, dass der (Opern-)Chor des Theaters Bonn nicht „opernhaft“ ist und sich so optimal in die rockige Partitur einfügt.

Licht und Ton machen ihre Sache sehr gut – stimmige und punktgenaue Ausleuchtung sowie perfekt abgestimmter Sound, bei dem von den Gesangsstimmen alles sehr deutlich zu verstehen ist, tragen zum Gesamtbild einer „runden“ Show bei.

Alles in allem eine sehr gut besetzte, aber auch sehr moderne Inszenierung, die durch die dargestellten Bilder/Szenen die biblische Vergangenheit in die aktuelle Gegenwart transportiert. Wer nicht gerade eine Inszenierung mit Wallebärten und biblisch anmutenden Kostümen erwartet, sollte sich unbedingt auf das Abenteuer einlassen und nach Bonn fahren – Musik und Schauspiel sind erstklassig!

Weitere Informationen und Tickets unter www.theater-bonn.de. Die Show steht noch bis zum 26. Februar 2014 auf dem Spielplan.

(r.e., Oktober 2013)

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Rock-Oper von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Gesangstexte)

 

Regie

Gil Mehmert

Musikalische Leitung

Jürgen Grimm

Choreographie

Kati Farkas

Bühnenbild

Beatrice von Bomhard

Kostüm und Maske

Beatrice von Bomhard

Lichtdesign

Thomas Roscher

Sounddesign

Stephan Mauel, Tom Vollmers

Darsteller:

 

Jesus Christus

Mark Seibert

Judas

David Jakobs

Maria Magdalena

Patricia Meeden

Pontius Pilatus / Hannas

Mark Weigel

Kaiaphas

Alexey Smirnov

Petrus

Tim Ludwig

Simon Zelotes

Marc Lamberty

Herodes

Dirk Weiler

Sowie: Chor des Theaters Bonn, Mitglieder des Jugendchors des Theaters Bonn, Studentinnen und Studenten der Folkwang Universität der Künste, Essen