SCHIKANEDER – Die turbulente Liebesgeschichte hinter der Zauberflöte, Wien

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Welturaufführung am 30.09.2016 im Raimund Theater, Wien

Als die ersten Töne der Ouvertüre erklingen ist klar, dass dies kein Musical im üblichen Sinne werden wird. Sehr mozartesk luftig-leicht, aber eben eindeutig klassisch beginnt diese Welturaufführung im Wiener Raimund Theater. Es geht um den Impresario, Schauspieler, Theater-Visionär Emanuel Schikaneder, den Librettisten der „Zauberflöte“. Im Gegensatz zu Wolferl Mozart, dem wohl größten  musikalischen Genie aller Zeiten, ist der Schikaneder bekanntheitstechnisch nahezu in der Versenkung verschwunden. Dies zu ändern hat sich der Intendant der Vereinigten Bühnen Wien, Christian Struppeck, auf die Fahnen geschrieben und ein Buch gestrickt rund um den charismatischen Theatermann und dessen Ehefrau Eleonore, ebenfalls Schauspielerin. Zusammen waren Emanuel und Eleonore privat und vor allem im Theaterbetrieb der damaligen Zeit das Hellstrahlendste Traumpaar, wie ein etwas holpriger Liedtitel aus dem Stück impliziert. Turbulent soll es zugegangen sein im Hause Schikaneder, historischen Überlieferungen zufolge. Daran angelehnt lautet demzufolge der komplette Titel des Stücks „Schikaneder – Die turbulente Liebesgeschichte hinter der Zauberflöte“.

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Foto Copyright Vereinigte Bühnen Wien, Karl Schöndorfer

Und da man bei den Vereinigten Bühnen Wien keine halben Sachen macht, griff man in die Vollen und verpflichtete für das Kreativteam die erste Garde der internationalen Musicalgrößen. Als Komponist wurde der vielfach ausgezeichnete Stephen Schwartz gewonnen, der u. a. mit „Wicked“ einen Musical-Blockbuster geschaffen hat. Für die Regie holte man keinen Geringeren als Sir Trevor Nunn, Ikone des Londoner West End, der neben Operninszenierungen vor allem im Musicalbereich Uraufführungen wie „Les Miserables“, „Cats“, „Starlight Express“, „Sunset Boulevard“ und viele andere berühmte Produktionen auf höchst erfolgreiche Wege geschickt hat. Und nicht zuletzt ist auch noch Michael Kunze mit von der Partie, er zeichnet für die deutsche Fassung des Stücks verantwortlich.

Dieses namhafte Kreativteam hat darüber hinaus mit dem grandiosen Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter der Ägide von Musikdirektor Koen Schoots einen Klangkörper zur Verfügung, der in der Musicalbranche einzigartig und unerreicht ist.

Dazu nehme man dann noch einen Cast, angeführt von einem der beiden Leading Men der Branche, Mark Seibert (der andere spielt aktuell auch für die VBW, im Ronacher…), gebe diesem an die Seite eine Sympathieträgerin mit wunderbarem Sopran (Milica Jovanovic) und fülle das Ganze mit prominent besetzten Nebenrollen und einem hochengagierten Ensemble. Konnte also rein theoretisch gar nichts mehr schiefgehen mit dieser neuen Produktion – oder?

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Foto Copyright Vereinigte Bühnen Wien

Soviel vorweg: Man wird gut unterhalten, es gibt viele amüsante Momente und auch Sequenzen, die berühren und ans Herz gehen. Ausstattung und Kostüme sind überaus sehenswert, die Inszenierung ist professionell. Die Partitur der überraschend schauspiel-lastigen Show ist größtenteils klassisch, handwerklich hoch-ambitioniert, wenn auch ohne Hit, der länger im Gehörgang verbleibt – mit Ausnahme vielleicht des Duetts Träum groß, welches mehrmals in Reprisen ausgewalzt wird. Besetzt mit 32 Musikern, ohne Drums, verstärkte Gitarren und Keyboards, dafür mit Cembalo, ist das Orchester mit der Instrumentierung ganz nah an der Zauberflöten-Besetzung. Und stellt einen der größten Pluspunkte der Inszenierung dar.

Positiv ist weiterhin zu vermelden, dass die Soundaussteuerung, im Gegensatz – jedenfalls anfänglich – zur „Mozart!“-Produktion, wirklich gut ist, die Balance zwischen Orchester und Stimmen ist gut ausgewogen, die Textverständlichkeit einwandfrei.

Der Dreh- und Angelpunkt dieser Neuproduktion, welcher über einen langfristigen Erfolg oder das Gegenteil entscheiden wird, ist die Frage: Trägt die Story? Die Lebens- und Liebesgeschichte eines Theaterpaars, heutzutage würde man es eine on-off-Beziehung nennen, erinnert ziemlich an „Kiss me, Kate“, auch wenn es sich bei „Schikaneder“ um historische Persönlichkeiten handelt, im Gegensatz zum Shakespear’schen Hund-und-Katze-Pairing.

Kurzer Story-Verlauf: Die beiden Schauspieler Eleonore und Emanuel lernen sich kennen und lieben, als sie in der Schauspieltruppe des Franz Moser aufeinandertreffen. Rasch werden die beiden aufgrund ihres Talents und Charismas zum umjubelten Glamourpaar im damaligen Barocktheater des späten 18. Jahrhunderts. Die intelligente, schöne Eleonore und der maßlos von sich eingenommene und mit übersteigertem Ego ausgestattete, aber trotzdem charmante Hallodri Emanuel mischen die Theaterszene so richtig auf und eilen von Erfolg zu Erfolg. Jedoch ist kein Rock vor dem Weiberhelden Emanuel Schikaneder sicher und so kommt es zum Zerwürfnis: Gekränkt schnappt sich Eleonore den sie anhimmelnden, aber kränklichen jungen Johann Friedl und türmt mit diesem nach Wien, sie übernehmen dort ein Theater. Emanuel bleibt – nur vordergründig unbeeindruckt davon, dass er verlassen wurde – bei seiner Schauspieltruppe in Deutschland, entwickelt Stücke, die aber nicht von Erfolg gekrönt sind.

Auch in Wien läuft es nicht besonders gut für Eleonore und Johann, Letzterer fällt rasch der Schwindsucht zum Opfer. Eleonore erbt das gemeinsame Theater auf der Wieden, darf es aber aufgrund damaliger behördlicher Auflagen als Frau nicht führen. Somit steht sie vor den Scherben ihrer Existenz, ihre Truppe steht vor dem Nichts. Da insistiert Eleonores beste Freundin Barbara, dass nur ein Theatermann, der über eine Lizenz zum Betreiben eines feststehenden Theaters verfügt, die Rettung sein könne. Und dieser steht auch schon bereit – es ist natürlich Emanuel Schikaneder. Eleonore ist außer sich vor Wut, sie hat ihrem Noch-Ehemann nicht verziehen, dass er sie unablässig betrogen und sogar mit einer naiven Kollegin ein Kind gezeugt hat. Trotzdem raufen sich die beiden wieder zusammen, anfangs nur auf geschäftlicher Ebene, obwohl natürlich augenscheinlich ist, dass die zwischenmenschliche Glut immer noch vorhanden ist. Zusammen bringen sie ein vollkommen neuartiges Stück auf den Weg, die Partitur dazu liefert ein langjähriger Freund Schikaneders (eben Mozart), von Eleonore abwertend als Säufer und Spieler tituliert. In Ermangelung finanzieller Ressourcen wird in dem neu anstehenden Stück alles verramscht, was man so noch rumliegen hat, wie diverse Pyramiden, ein Federkostüm usw. Das Ensemble meutert, das Stück wäre infantil und zum Scheitern verurteilt – da erklingen im Hintergrund die ersten Töne der neuen Partitur – man ist verzaubert, macht weiter. Und erlebt gemeinsam den triumphalen Uraufführungserfolg der Zauberflöte, mit Emanuel im Federkostüm des ersten Papagenos.

Das alles ist höchst professionell inszeniert und auch unterhaltsam, zeigt den Theateralltag der damaligen Zeit. Die Bühne ist mit einem überdimensionalen Holzbau versehen, der damaligen barocken Theaterwelt nachempfunden, der durch häufigen Einsatz der Drehbühne die entsprechenden Stationen bereithält. Das Konstrukt wird von Hunderten elektrischen LEDs in Form von Kerzen illuminiert – ein Akt zur damaligen Zeit dauerte immer nur so lange, wie die Kerzen herunterbrannten – in der Pause wurde dann Kerzenmaterial nachbestückt.

Bei den Darstellern vertraut man auf große Namen der Branche:
Nach dem Tod in „Elisabeth“ und dem Fürsterzbischof Colloredo in „Mozart!“ schlüpft Mark Seibert nun in die Rolle des Emanuel Schikaneder – und ist optisch ein prächtiges Mannsbild, viel einnehmender als der real glubschäugige und pausbäckige Namensgeber es war. Seibert, bislang zum Großteil stets als Liebhaber und Verführer besetzt, überrascht hier mit komödiantischer Seite und gibt den Schikaneder mit unerschütterlicher, grenzenlos übersteigerter Eitelkeit und Selbstbewusstsein, vertraut stoisch darauf, dass sich alles immer irgendwie einrenkt und schon funktionieren wird. Nachdem ihn Eleonore verlassen hat, redet er sich selber ein, dass es ja So viele Fische im Meer gäbe. Dieses Solo ist richtig amüsant. Doch er kann auch anders, berührt im zweiten Akt mit der zarten Ballade Letzter Vorhang, als er realisiert, dass er ohne Eleonore nichts ist. Schauspielerisch und stimmlich ist er dieser großen Hauptrolle, in der er fast durchgehend auf der Bühne präsent ist, gewachsen und weiß zu überzeugen.

Ihm zur Seite als starke, kluge Eleonore liefert Milica Jovanovic erneut zuverlässig mit ihrem warmen Sopran und großer Bühnenpräsenz eine sehr ansprechende Leistung. Gesanglich hat sie ihren größten Moment gegen Ende des zweiten Aktes mit Mein Lied, in diesem Solo befreit sie sich von allen Konventionen, will ihren Weg alleine gehen, niemals mehr abhängig von einem Mann sein. Großartig!

Schauspielerisch ist das Ehepaar Schikaneder übrigens immer dann am besten, wenn es sich gegenseitig angiftet, das ist ungemein erheiternd.

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Foto Copyright Vereinigte Bühnen Wien, Karl Schöndorfer

Eine Entdeckung im deutschsprachigen Musicalraum ist die junge britische Sopranistin Katie Hall. Nicht von ungefähr erhält sie beim Schlussapplaus Riesenbeifall – sie verfügt über ein sehr erfrischendes, lebhaftes Spiel und gestaltet ihre Rolle der naiven Maria Anna Miller, als eines seiner Verhältnisse von Schikaneder auch noch geschwängert, ganz wunderbar. Da funkelt ein neuer Diamant auf der Musicalbühne.

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Foto Copyright Vereinigte Bühnen Wien, Karl Schöndorfer

Florian Peters schließt man als glücklosen, tollpatschigen Johann Friedl sofort ins Herz. Auch von ihm wird man noch viel hören, gesanglich bewältigt er überdies mit beeindruckender Leichtigkeit seine Parts.

Die Nebenrollen sind hochkarätig besetzt: Armin Kahl als Benedikt Schack, treuherziger bester Freund von Schikaneder und immer zuverlässig zur Stelle, um diesem mal wieder aus der Patsche zu helfen, Franziska Schuster überzeugt als Eleonores beste Freundin Barbara. Katja Reichert in der leider nur kleinen Rolle als Josepha Hofer, erste Königin der Nacht, lässt mit grandioser Stimme aufhorchen, Hardy Rudolz hat eine Doppelrolle, im ersten Akt ist er der gutherzige Impresario Franz Moser und im zweiten Akt Josef von Bauernfeind, der sich von den Schikaneders breitschlagen lässt, in die Zauberflöte zu investieren, er macht seine Sache vorzüglich, Reinwald Kranner gibt einen schmierigen Karl Marinelli, Schikaneders Konkurrent.

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Foto Copyright Vereinigte Bühnen Wien, Karl Schöndorfer

Fazit: „Schikaneder“ bietet gute Unterhaltung und lohnt definitiv einen Besuch, man sieht, was für ein Riesenaufwand hinter der Produktion steckt. Ob die Show ihr Publikum für eine längere Spielzeit findet, wird sich zeigen – wir drücken die Daumen.

Weitere Infos und Tickets hier:
https://www.musicalvienna.at/de/spielplan-und-tickets/spielplan/production/217/SCHIKANEDER

 (Silvia E. Loske, Oktober 2016)

Die Vereinigten Bühnen Wien zeigen das neue Musical „Schikaneder – die turbulente Liebesgeschichte hinter der Zauberflöte“

Musik

Stephen Schwartz

Buch

Christian Struppeck

Regie

Trevor Nunn

Deutsche Fassung

Michael Kunze

Musikalische Leitung

Koes Schoots

Orchestrierung

David Cullen

Choreographie

Anthony van Laast

Bühnen- und Kostümbild

Anthony Ward

Lichtdesign

Paul Pyant

Tondesign

Gareth Owen

Videodesign

Ian William Galloway

Darsteller:

Emanuel Schikaneder

Mark Seibert

Eleonore Schikaneder

Milica Jovanovic

Johann Friedel

Florian Peters

Maria Anna Miller

Katie Hall

Franz Moser/Josef v. Bauernfeind

Hardy Rudolz

Karl Marinelli

Reinwald Kranner

Barbara Gerl

Franziska Schuster

Benedikt Schack

Armin Kahl

Josepha Hofer

Katja Reichert

Ensemble: Jon Geoffrey Goldsworthy, Peter Kratochvil, Ulrich Talle, Fernand Delosch, Andreas Bongard, Ricardo Frenzel Baudisch, Marle Martens, Daniela Braun, Tessa Jill Brockhoff, Jil Clesse, Oliver Floris, Karoline Gable, Tobias Joch, Lillian Maandag, Stefan Poslovski, Jana Stelley, Andreja Zidaric, Shane Dickson, Stef van Gelder, Rebecca Soumagné, Shari Lynn Stewen, Ronnie Veró Wagner, Livia Wrede

Es spielt das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots