LUDWIG2 – Der König ist zurück, Füssen 2017

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Foto: Musical Reviews

LUDWIG2 Festspielhaus Füssen, Derniére 28. August 2017

„Schwanenkönig hab Dank …“

Die emotionale Schlussarie ertönt im bis auf den letzten Platz gefüllten Festspielhaus und wie auf ein unsichtbares Zeichen erheben sich still alle 1.350 Zuschauer und erweisen so dem unvergessenen bayerischen Märchenkönig Ludwig II. die Ehre.

Wenn man im Musical-Business seit Jahrzehnten unterwegs ist, hat man schon so einige Derniéren miterlebt. Und ja – natürlich ist die letzte Vorstellung einer erfolgreichen Show immer etwas Besonderes, ist mit Sentiment für alle Kreativen und die Zuschauer verbunden, Fans reisen von überall her an, um dabei zu sein. Bei Kult-Musicals wie „Elisabeth“ und „Tanz der Vampire“ ist es längst gängige Praxis, dass sich die jeweiligen Fanclubs wochenlang vor einer Derniére akribisch auf den letzten Vorhang ihrer Lieblings-Show vorbereiten: Da werden ganze Lieder umgetextet, einstudiert, dargeboten, es werden Unmengen Blumen gekauft und auf den Sitzen in der Pause verteilt, damit beim Schlussapplaus ein Rosenregen die Bühne bedeckt, hunderte geschwenkte Knicklichter bereiten den Darstellern ein illuminiertes Farewell.

Und dann geschieht im Festspielhaus zu Füssen bei der letzten Ludwig2 Vorstellung für 2017 etwas, das nicht geplant, nicht vorbereitet war. Gerade deshalb wohnt dieser Geste in ihrer absoluten Schlichtheit etwas besonders Anrührendes inne. Die Zuschauer handeln offensichtlich aus dem Bedürfnis heraus, zeitgleich noch mitten in der Schlussarie aufzustehen, still zu stehen, zu lauschen, den Moment auf der geistig-emotionalen Festplatte abzuspeichern. Der eine oder andere hat dabei „Das Auge naß“ – sowohl im Publikum als auch auf der Bühne bei den Darstellern.

Es ist ja auch gar nicht die eigentliche Derniere, die war bereits am Abend zuvor, Sonntag. Dieser Montagabend nun war kurzfristig als Zusatzshow in einem Kraftakt des Veranstalters innerhalb eines Tages organisatorisch gestemmt worden. Bedingt durch die Erkrankung von Hauptdarsteller Jan Ammann am Spieltag des 15. August ermöglichte der  Veranstalter Big Dimension kurzerhand diese Zusatzshow sogar mit dem Angebot der kostenlosen und unkomplizierten Kartenumbuchung – was für eine enorme Kundenfreundlichkeit, Hut ab. Das hat man in anderen Theatern noch nie erlebt. Dass auch diese Zusatzvorstellung in kürzester Zeit ausverkauft war, bedarf keiner gesonderten Erläuterung. Am Montagabend bildete sich trotzdem noch eine lange Schlange von Musical- und Ludwig-Begeisterten an der Abendkasse, um noch das eine oder andere Restticket zu ergattern.

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Foto: Big Dimension

Welches sind wohl die Gründe, dass gerade dieses Musical sich trotz widriger vorausgegangener Umstände seit seiner Uraufführung 2005 und der Absetzung aufgrund Insolvenz zwei Jahre später immer noch so ungebrochener Beliebtheit erfreut?

  • Ist es die Verehrung eines Monarchen, der aufgrund seiner übergroßen Empfindsamkeit in seinem Umfeld auf Unverständnis stieß, sich ungeliebt und unglücklich fühlte, es aber Dank seiner Visionen und der unendlichen Liebe zu Kunst und Schönheit vermochte, sich einen unsterblichen Platz in der Geschichte zu sichern? Durch Ludwigs Schlösser-Bauwahn, der ihm als Verschwendung von Steuergeldern angekreidet wurde und mit einer der Auslöser war, ihn zu Fall zu bringen, werden bis zum heutigen Tage dem bayerischen Staat als Touristenattraktion Nr. 1 unaufhaltsam Millionen in die Kassen gespült.
  • Ist es der mythenumrankte Kult um den Bayernkini, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, wie seine Cousine Elisabeth, Kaiserin von Österreich. Ebenso der Zeit voraus, zu sensibel für diese Welt?
  • Sind es seine sagenumwobenen Lebensumstände, in Verbindung mit seinem mehr als mysteriösen Tod, der bis heute ungeklärt ist und immer noch für zahlreiche Spekulationen sorgt?
  • Ist es der geradezu magische Veranstaltungsort – ein eigens errichteter, wunderschöner Theaterbau, eingebettet in malerischer, fast schon kitschig anmutender grandioser Natur, in direktem Sichtkontakt zu den Königsschlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau?
  • Ist es die Umsetzung des Stücks an sich, das sich behutsam den historischen Charaktern nähert?
  • Ist es die Partitur von Raine/Franke/Wecker mit grandiosen Arien, die auch bei ansonsten eher pragmatisch veranlagten Personen direkt ins Herz trifft und Gänsehautmomente auslöst?

Das wird jeder Einzelne, der berührt aus dem Stück kommt, individuell für sich selbst entscheiden.

Dass der Traum so vieler „Ludwig2″  Musicalbegeisterten Wirklichkeit wurde und das Stück nach zehn Jahren erneut im Festspielhaus zu Füssen aufgeführt wird, ist dem Regisseur und Veranstalter Benjamin Sahler zu verdanken, der zusammen mit seinem Team dieses Projekt mit viel Herzblut, Engagement, aber auch den erforderlichen wirtschaftlichen Fähigkeiten wieder an seinen angestammten Spielort zurückbrachte. Es gehört schon eine große Portion Mut dazu, nach mehreren vorangegangenen Insolvenzen der beiden Ludwig-Musicals einen erneuten Anlauf zu nehmen. Er macht es genau richtig – aufgrund der mehr als schwierigen infrastrukturellen Anbindung des Spielorts ist eine En suite Bespielung nicht möglich und führt unweigerlich in die Pleite. Jedoch eine Blockbespielung in den Sommer- oder Ferienmonaten ist sehr wohl wirtschaftlich tragbar. Der Erfolg des letzten und vor allem dieses Jahres ist die Bestätigung dafür.

Doch Benjamin Sahler stellte nicht einfach die Ur-Inszenierung auf die Bühne, sondern überarbeitete klug Buch und Liedtexte, so dass Vieles jetzt schlüssiger und nachvollziehbarer wirkt. Vieles wurde optimiert, wie z. B. dass der Engel der Geschichte aus der  ursprünglichen Fassung nun zugunsten der stärker ausgearbeiteten Figur des kleinen Prinzen Ludwig gewichen ist. Der kleine Ludwig erscheint dem erwachsenen Ludwig immer dann, wenn dieser an sich und der Welt verzweifelt, nicht mehr weiter weiß.

Ludwig2_Big Dimension_6 (Small) (Andere)Foto: Big Dimension

Die eingefügte Sequenz mit dem amerikanischen Journalisten Lew Vanderpool, mit dem sich Ludwig über Edgar Allen Poe austauscht, ist ebenfalls ein Gewinn. Vor allem dahingehend, als der König in dieser Szene zu seiner fortschreitenden Geräuschempfindlichkeit und seinen Seelenqualen Einblick gewährt.

Der Schwan aus der Urversion nimmt in der aktuellen Inszenierung anmutig Gestalt an (Stefanie Gröning), es wurde ein neues Terzett der Damen Elisabeth, Sybille Meilhaus und Sophie eingefügt, die Szene in Dr. Guddens psychiatrischer Anstalt wurde mit gemütskranken Insassen erweitert und schlüssig ausgearbeitet.

Wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Mit Bedauern nimmt man zur Kenntnis, dass die in der damaligen Fassung so hervorragend inszenierte Szene, als der kleine Ludwig nach oben Richtung Bühnendecke hochschwebt und auf halbem Wege auf den von oben herabschwebenden erwachsenen Ludwig trifft, gestrichen wurde: schade.

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 Foto: Big Dimension

Die slapstickartige humoristische König Technik Sequenz, als gewollter Bruch in der ansonsten düster-tragischen Story durchaus berechtigt, ist in dieser Neuinszenierung mit einem völlig überdrehten klamaukigen Erfinder bestückt. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem theatralen Stilmittel der Überzeichnung und albern clowneskem Gehabe. Diese Erfinder-Darstellung nervt einfach nur und trübt den Gesamteindruck dieser ansonsten humorvollen und beim Publikum immer bestens ankommenden Szene.

Es gibt wieder kein Orchester, die Musik kommt aus der Konserve, das Ensemble singt nicht live (und hat zur rechten Zeit Probleme, im Playback lippensynchron zu sein), die Chöre werden eingespielt, nur die Solisten liefern gesangliche Live-Performance. Das ist aus wirtschaftlichen Gründen völlig verständlich und die Akustik im Festspielhaus lässt die Musik aus der Konserve trotzdem sehr gut klingen. Merkwürdig mutet es aber trotzdem an, wenn ein musikalischer Leiter in einem leeren Orchestergraben steht und dirigiert.

Zum Cast ist anzumerken, dass viele Darsteller überzeugen: Alexander Kerbst als Dr. Gudden, Anna Hofbauer als Elisabeth, Julian Weywar als Prinz Otto (sehr berührend das Krieg oder Frieden Duett mit seinem Bruder, dem König). Man freut sich über die mit authentischem Spiel und warmem Sopran aufwartende Suzan Zeichner als Ludwigs Kindermädchen Sybille Meilhaus, die bereits in der Urfassung in dieser Rolle zu sehen war. Sympathieträger sind selbstverständlich stets die Buben, die den kleinen Ludwig darstellen, in der besprochenen Show lieferte Leander Lutz eine geradezu souveräne Leistung.

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Foto: Musical Reviews

Die Figur des Freiherrn von Lutz, Vorsitzender des Ministerrats, ist mit dem zwar schön singenden, aber optisch viel zu jungem Oliver Polenz besetzt, das wirkt nicht glaubwürdig. Oedo Kuipers als Adjutant Graf von Dürckheim, engster Vertrauter Ludwigs, wirkt in seiner Darstellung seltsam unbeteiligt, wenngleich er bei der Freundschafts-Arie im Duett mit dem König mit sauber geführter Stimme für sich einzunehmen vermag.

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Foto: Big Dimension

Zu leichter Irritation führt die Darbietung der Schattenarie durch Kevin Tarte als Schattenmann. Diese großartige, dramaturgisch packend aufgebaute Arie Schatten auf des Königs Palästen bietet vom Kontext her keinerlei Anlass zu Sarkasmus und verächtlichem Auflachen. Der Schattenmann agiert vergleichbar einem Auftragskiller nur als Handlanger ohne emotionale Beteiligung, daher sind Gefühlsausbrüche der beschriebenen Art hier fehl am Platze. Da ploppt unweigerlich die wunderbar reduziert-fokussierte und sich im Verlauf der Arie bezwingend intensiv steigernde Version von Bruno Grassini von damals hoch.

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 Foto: Big Dimension

Fehlt noch was? Ach ja, der Hauptdarsteller… Publikumsliebling Jan Ammann kehrte für neun Shows an die Spielstätte und in die Rolle zurück, die für ihn vor zwölf Jahren den Meilenstein zum Beginn einer großen Karriere im Musical-Business markierte. Beeindruckte er damals als schöner junger König mit nahezu frappierender optischer Ähnlichkeit zum Original und vor allem mit seinem klassisch ausgebildeten strahlendem Bariton, so kehrt er jetzt als König Ludwig II zurück, gereift an Lebenserfahrung und mit immer noch immens sicherer, aufwühlender, volltönender Stimmlage. Aber vor allem steht er nun mit ungeheurem darstellerischen Ausdruck auf der Bühne. In keiner Sekunde denkt man als Zuschauer, da spielt einer den König Ludwig – er ist es einfach. Jan Ammann scheint mit dieser seiner Lebensrolle auf dem Zenit angekommen zu sein, am Ende der künstlerischen Fahnenstange im ausschließlich positiven Sinne: besser geht nicht. Er liefert hier sein Meisterstück ab und verleiht dem unverstandenen König vor allem im zweiten Akt eine atmosphärische Dichte, die den Zuschauer fast hypnotisiert, man kann nicht den Blick von ihm abwenden, diese Bühnenpräsenz ist schlicht gewaltig. Er windet sich am Boden, weint, schreit seine Verzweiflung heraus. Jede Geste, jeder Blick sitzt, jeder zögerliche, in leicht gebückter Haltung vollzogener kleiner Tippelschritt zum Ende hin lässt einen schaudern ob der unfassbar großen Nähe zu seinem Bühnencharakter. Regisseur Benjamin Sahler tat gut daran, seinem Hauptdarsteller künstlerische Freiheit im Vertrauen auf dessen Rollenerfahrung zu gewähren. Das Ergebnis zeigt einen Künstler, der sich sichtlich wohl fühlt in seiner Rolle und eben deshalb auch alles aus dem Rollencharakter herauszuholen imstande ist. Bravo!

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Foto: Big Dimension

Zum Schluss eine gute Nachricht für alle, die dieses Musical lieben: Der bayerische Märchenkönig bleibt im Festspielhaus, in einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung wurde verlautbart, dass die aktuelle Erfolgsgeschichte weitergeht.  Ludwigs Festspielhaus in Füssen und das Musical „Ludwig2“ werden in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Festspielhauseigner Manfred Rietzler hat sich die Aufführungsrechte des Erfolgsmusicals bis 2029 gesichert und produziert künftig mit Benjamin Sahler gemeinsam. Der Spielbetrieb wird sukzessive ausgebaut, ein Anfang wird 2018 mit 60 Spieltagen gemacht.

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Silvia Eva Loske, August 2017

Musical von Rolf Rettberg (Buch und Liedtexte), Musik Konstantin Wecker, Nic Raine und Christopher Franke
Produktion 2017: Big Dimension

Kreative
Musikalische Leitung Florian Appel / Dr. Konstantinos Kalogeropoulos
Regie Benjamin Sahler
Choreographie Till Nau
Bühne Gerd Friedrich (2005) und Benjamin Sahler
Kostüme Gerd Friedrich, Sonja Schweizer, Claudia Krämer
Darsteller
König Ludwig II. Matthias Stockinger / Jan Ammann
Kleiner Prinz Ludwig Leander Lutz
Elisabeth, Kaiserin von Österreich Anna Hofbauer
Dr. Gudden Alexander Kerbst
Sybille Meilhaus Suzan Zeichner
Graf Dürckheim Oedo Kuipers
Prinz Otto von Bayern Julian Wejwar
Sophie Dorothea Baumann
Ludovika Lisa Hörl
Schattenmann Kevin Tarte
Kaspar William Cohn
Freiherr von Lutz Oliver Polenz
Graf Rettenberg Harald Tauber
Ensemble: Schwan: Stefanie Gröning, Jens R. Kalkmann, Stefanie Kock, Pablo Botinelli, Manfred Loosen, Christian Lucke, Kathrin Lothschütz, Alexandra Windholz, Antonia Haufe, Rebecca Raitz, Anna-Lena Just, Franziska Zimmermann, Angelika Linder, Julia Kretz, Nina Hirschler, Sandra Franke, Michael Schneider, Alexander Spazier, Peter Ramlow, Sven Fliege, Kevin Arand.