DOKTOR SCHIWAGO – CD

Deutschsprachige Erstaufführung
Doppel-CD, aufgenommen Oktober 2019, veröffentlicht Dezember 2019
Produziert von HitSquad Productions
für die Musikalische Komödie / Oper Leipzig
Doppel-CD-Case, 25 Titel, Booklet mit Farbfotos, Synopsis und allen Liedtexten

Eine der von vielen Musicalfreunden wohl am sehnlichsten erwartete CD-Einspielung liegt nun Ende 2019 endlich vor: Am 27. Januar 2018 fand an der Musikalischen Komödie Leipzig die umjubelte Deutsche Erstaufführung von Doktor Schiwago statt und sorgte sowohl in der ersten Spielzeit als auch in der Wiederaufführungs-Spielzeit für ein ausverkauftes Haus. Intendant und Regisseur Cusch Jung hatte den Mut, sich die deutschen Rechte an dem Musical zu sichern, obwohl den bisherigen Produktionen in Sydney (2011) und am Broadway (2016) kein großer Erfolg beschieden war. Er erkannte das Potential des Stücks für den deutschsprachigen Markt, war tief bewegt von Story und vor allem der außergewöhnlich intensiven Partitur. Im Oktober 2019 wurde nun die um die Dialoge gekürzte Gesamtaufnahme mit allen 25 Liedern des Stücks im Studio in Leipzig, mit 30 Musikern und dem Chor der Oper Leipzig, aufgenommen. Kürzungen waren nötig, da das Musical eine reine Spielzeit von drei Stunden hat, was auf CD nicht umsetzbar ist.

Alle Solisten der Premiere der Deutschen Erstaufführung finden sich auf dieser Cast-CD mit Ausnahme der Rolle des Viktor Komarovskij, ab der zweiten Spielzeit übernahm Regisseur Cusch Jung diesen Part und ist damit auch auf der CD zu hören.

Das Musical basiert auf dem 1957 erschienenen gleichnamigen literarischen Welterfolg von Boris Pasternak. Vom Ende der Zarenzeit bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts reicht der historische Spannungsbogen und erzählt die bewegte Geschichte des Arztes und Poeten Jurij Andrejwitsch Schiwago. Dieser Feingeist ist zerrissen zwischen seiner familiären Existenz mit Frau und Kind und der Hingabe an seinen Lebensmenschen, der mutigen, leidenschaftlichen Lara und den Verstrickungen, welche diese Beziehungen mit sich bringen, inmitten des Strudels der politischen Verwerfungen im Russland zwischen erstem Weltkrieg und Oktoberrevolution.

Mit der exzellenten Partitur ist der zweifachen Grammy-Gewinnerin Lucy Simon ein Meisterwerk aus emotionalen Balladen im Verbund mit schwermütigen russischen Klängen gelungen, das den großen bekannten Drama-Musicals in nichts nachsteht.

Jan Ammann, Lucy Simon, Lisa Habermann

Die musikalischen Nummern nehmen Bezug zueinander, so ziehen sich ein Jurij-Thema, ein Lara-Thema und ein Tonia-Thema durch das Stück.

Vielfältige Stile finden Anwendung, wie Walzer („Wenn die Geige sang„), Klezmer („Göttliches Geschenk“), klassisch mit entsprechender Dramatik aufgebaute und mit opulentem Streichereinsatz versehene Musicaltitel, zarte Balladen, wuchtig-verzweifelte Up-Tempos („Tränen und Wut“), bedrückend-treibende Kriegs-Märsche („Blut auf dem Schnee“, „Vorwärts Marsch“). Solonummern beeindrucken durch ihre Intensität, doch stechen bei dieser Partitur eindeutig die intensiven Duette hervor, wie Jurij/Tonia („Sieh zum Mond“), Jurij/Lara („Jetzt“, „Jenseits aller Zeit“) und Tonia/Lara („Trotzdem wundert es mich nicht“). Anrührend die Melodie von „Hier im Haus“. Ein Highlight ist ohne Zweifel das Quintett „Sie wählt Dich“ der fünf Hauptprotagonisten, deren emotionale Lebenslinien schicksalhaft untrennbar miteinander verstrickt sind.

Als musikalisches Wiedererkennungs-Merkmal hat Cusch Jung im ersten Akt Maurice Jarre‘s Oscar-prämierte Schiwago-Filmmelodie „Somewhere my Love“, auch bekannt als „Lara’s Theme“ aus der Verfilmung eingebaut. Zart begonnen nur mit Akkordeon und der Solistin Sabine Töpfer, steigt dann das Orchester ein. In Lucy Simon’s Originalpartitur findet sich in dieser Szene jedoch der Titel „Where the Lilacs grow“ (Dort, wo der Flieder blüht), ein sehr schönes Lied. Das nach meiner Kenntnis bislang erst einmal in einer Schiwago-Inszenierung anstelle des berühmten „Lara’s Theme“ erklang, nämlich in der Spielserie des Musicals in Straubing im Frühjahr 2019.

An dieser Stelle gewürdigt werden sollen unbedingt die Liedtexte von Michael Korie und Amy Powers; die deutsche Übersetzung von Sabine Ruflair ist bestens gelungen. Für Menschen mit Sprach-Affinität ist es eine Wohltat, kluge, aussagekräftige Texte mit für die Zeit passender Wortwahl in Verbindung mit der berührenden Partitur zu genießen.

Erstmals an der Musikalischen Komödie Leipzig engagiert, besetzt Jan Ammann die Rolle des Titelhelden Jurij Schiwago und liefert darstellerisch und gesanglich Höchstleistung ab. Mit seiner Interpretation des Doktor Schiwago hat Jan Ammann neben Ludwig2 eine weitere Lebensrolle gefunden, eine Herzensangelegenheit für ihn. Er stellt die Entwicklung des Charakters bemerkenswert überzeugend dar und begeistert mit enormer physischer und mentaler Authentizität. Gesanglich glänzt der erfahrene Bariton mit nuancenreicher Stimme und drückt der anspruchsvollen Partitur seinen Stempel auf.

Lisa Habermann bezaubert als Larissa (Lara) Guichard. Mit schön geführtem Sopran vermag sie die vielen dramatischen Momente, in denen Liebe und Tod eng beieinander liegen und in denen ihr Rollencharakter stetig an Stärke gewinnt, sehr glaubwürdig zu vermitteln. Wenn beim Anhören einer CD, ohne die optischen Erlebnisse im Theater, sich einem der Hals zuschnürt bei der „Jetzt-Reprise“ von Jurij und Lara, wenn es unweigerlich dem dramatischen Ende des Stücks zugeht, dann ist das ganz großes Kino!

Mit großer Innigkeit und Liebenswürdigkeit gefällt Hanna Mall in der Rolle der sanften Antonia Gromeko (Tonia). Dabei berührt es insbesondere, wie sie die Zerrissenheit der liebenden Ehefrau, die sogar ihren Mann ziehen lässt, zum Ausdruck bringt.

Björn Christian Kuhn gibt mit viel Charisma Laras verschollenen Ehemann und Revolutionsführer Pavel Antipov (Pascha) / Strelnikov. Es gelingt ihm hervorragend, den Bogen der Wandlung des Charakters vom jungen idealistischen Studenten hin zum erbarmungslos in seiner Ideologie verfangenen Massenmörders zu spannen. Bei seinem fatalistisch herausgeschleuderten „Du kommst nicht davon“ läuft es einem eiskalt den Rücken hinunter.

Der intrigante Anwalt Viktor Komarovskij ist bei Cusch Jung in den besten Händen. Seine Interpretation bedient gekonnt den schmierigen, sarkastisch kommentierenden und doch zu seinem eigenen Leidwesen in seiner Leidenschaft zu Lara gefangenen Charakter.

Unter der musikalischen Leitung von Christoph-Johannes Eichhorn trumpft das großartig und üppig besetzte Orchester der Oper Leipzig auf und zaubert einen wahren Hörgenuss. Wie wunderbar, richtige Instrumente ohne künstlichen Synthi-Matsch hören zu dürfen, ein klagendes Fagott, eine emotionale Oboe. Der Chor der Oper Leipzig befeuert die teils wuchtigen Songtitel mit Verve und löst Gänsehaut-Effekt aus.

Produziert ist die CD von den Könnern Martin Böhm und Ludwig Coss von HitSquad Productions, sauber abgemischt – alles richtig gemacht.

Silvia Eva Loske, Dezember 2019

Musical in zwei Akten | Buch von Michael Weller | Musik von Lucy Simon | Gesangstexte von Michael Korie und Amy Powers | Nach dem Roman von Boris Pasternak | Deutsch von Sabine Ruflair (Gesangstexte) und Jürgen Hartmann (Buch)

Musikalische Leitung Christoph-Johannes Eichhorn
Inszenierung Cusch Jung
Choreinstudierung Mathias Drechsler
Besetzung  
Jurij Schiwago Jan Ammann
Larissa Guichard (Lara) Lisa Habermann
Antonia Gromeko (Tonia) Hanna Mall
Pavel Antipov (Pascha) / Strelnikov Björn Christian Kuhn
Viktor Komarovskij Cusch Jung
Anna Gromeko / Olga Sabine Töpfer
Alexander Gromeko Michael Raschle
Gints Milko Milev
Janko Stephen Budd
Liberius Georg Führer
Ein Soldat Björn Grandt
Schulygin Uwe Kronberg
Fetisova Claudia Otte
Funktionär Roland Otto
Funktionär Uwe Strötzel
Funktionär Samuel Hoppe
Lara (Kind) Adele Bauer
Tonia (Kind) / Katharina (Kind) Lara Friedrich
Jurij (Kind) / Sascha (Kind) Joseph Martin

Ensemble/Chor der Oper Leipzig
Orchester, bestehend aus 30 Musikern, der Oper Leipzig unter dem Dirigat von Christoph-Johannes Eichhorn