Premiere Staatstheater am Gärtnerplatz München, 10. April 2025

Alles Walzer oder Wasser marsch?
Beides trifft zu … Die Premiere war etwas Besonderes:
Ungefähr eine halbe Stunde läuft der zweite Akt, bei der Szene „Oh Tymoleon“ kommt plötzlich auf kompletter Bühnenbreite von oben ordentlich Wasser herunter. Man meint im ersten Augenblick wirklich, das gehört so, toller Effekt – Szenenapplaus. Daniel Prohaska alias Botanikprofessor Erasmus Müller ruft geistesgegenwärtig „ah, schon wieder Regen!“
Doch als die Wassermassen in den Orchestergraben laufen, ist allen klar – das gehört nicht zum Stück, hier stimmt etwas ganz und gar nicht! Das Licht geht an, der Eiserne Vorhang kommt herab. Und kurz darauf kommt ein sichtlich angefasster Intendant Josef E. Köpplinger auf die Bühne und erklärt: Bei einem Chick Change, in beengter Lage in Ermangelung von Seitenbühnen, hat die Hauptdarstellerin mit dem Handrücken den Notknopf Feueralarm ausgelöst, die Sprinkleranlage setzt sich in Gang, die Hinterbühne steht 15cm unter Wasser, Bühne und Orchestergraben sind geflutet.
In Windeseile werden im Orchestergraben die wertvollen Instrument in Sicherheit gebracht, einige hat es trotzdem erwischt – die Notenblätter sind klatschnass, die Übertitelungsanlage ebenfalls betroffen und ausgefallen. Man würde sich bemühen, alles zu trocknen und schnellstmöglich die Vorstellung fortzuführen. Die Zuschauer sind eingeladen, sich im Foyer mit einem Gratisgetränk erstmal zu behelfen.
Feuerwehrleute kommen auf die Bühne, großer Applaus. Insgesamt waren 30 Berufsträger der Münchner Feuerwehr am Einsatz beteiligt.

Man wird in Echtzeit Zeuge, wie Theatermitarbeiter alle beherzt anpacken – sogar der Chefdirigent, an diesem Abend als Zuschauer dabei, wischt im Orchestergraben.
Nach 45 Minuten Unterbrechung geht es tatsächlich weiter mit der Premiere, mit leicht reduziertem Orchester unter dem Dirigat von Michael Brandstetter, und mit dem Ausruf von Erasmus Müller „Großer Gott!!“ – Gelächter im Publikum, wie passend! Alle legen sich nach dem Vorfall noch mehr ins Zeug, Riesenjubel im Publikum und natürlich am Ende Standing Ovations.
Zur Handlung des Stücks:
So skandalös kann ein Ausflug ins Grüne werden: Eine Gruppe lebenslustiger junger Leute, angeführt von der Sängerin Pauline, flüchtet vor einem Unwetter in die sogenannte Waldmühle. Als der strenge Oberforstrat Tymoleon auftaucht, um seine Schüler bei dem unerlaubten Ausflug zu erwischen, hält er Pauline für die Müllerin und lässt sich gern von ihr bezirzen. Dabei ist Tymoleon mit der schönen Freda verlobt! In die hat sich auch der junge Botho unsterblich verliebt, weshalb er natürlich die Gelegenheit beim Schopf packt, Tymoleon bloßzustellen.
Dies gelingt mit Hilfe des Botanikprofessors Erasmus Müller, der angereist ist, um den von Fredas Mutter Malvine angeblich entdeckten »schwarzen Waldmeister« zu begutachten. Erasmus erkennt sofort, dass es sich lediglich um mit Tinte gefärbten Waldmeister handelt, doch die Wirkung der Pflanze, mit reichlich Alkohol zu einer süffigen Bowle verarbeitet, lässt nichts zu wünschen übrig. Und so finden, nach einigen Irrungen und Wirrungen, die richtigen Paare zusammen.
*****

Waldmeister ist eine der unbekannteren, ja nahezu „vergessenen“ Operetten und das vorletzte Werk von Walzerkönig Johann Strauss, dessen Geburtstag sich 2025 zum zweihundertsten Mal jährt. Ein Dreiakter, woraus lediglich die zehnminütige Ouvertüre gern bei Konzerten gespielt wird.
Ansonsten ist die Partitur unbekannt, am ehesten bleibt beim ersten Hören die „Waldmeister-Quadrille“, das „Trau, schau, wem!“ Thema und die Polka „Klipp-Klapp Galopp“ im Gehörgang. Daher bedarf es einiger Bereitwilligkeit, um Zugang zum ersten Akt zu finden, der nur 45 Min. dauert. Erheblich Fahrt wird im zweiten Akt aufgenommen und im dritten Akt läuft dann alles hoch komödiantisch im besten Sinne einer Screwball Comedy völlig zur allgemeinen Erheiterung aus dem Ruder.
Köpplinger verortet in seiner textlichen Neufassung das Stück in die 50-er Jahre. Bereits zweimal kam die Operette im Gärtnerplatztheater zur Aufführung, 1896 und 1935.
Was bei der Fledermaus das Champagnergelage ist, ist hier die Waldmeisterbowle, die komplett enthemmende und aphrodisierende Wirkung auslöst. Am Ende haben sich alle ihrer Kleidung entledigt, legen frivol kreuz und quer Hand an, die Damen in ansprechender Lingerie, die Herren profan in Feinripp Unterbuxen und -hemden.

Besonders hervorzuheben sind die wunderschön in diversen Blautönen mit dezenten Ecru-Einschlägen gehaltenen Kostüme. Auch das Bühnenbild weiß zu überzeugen, die drei Aufzüge führen in das renovierungsbedürftige Hotel, vor Paulines Anwesen und in das Wohnzimmer des Amtsrat Heffele – hier wuchert dann im Hintergrundbild verstärkt ein Urwald als Allegorie der das ganze Chaos auslösenden Waldmeisterpflanze.
Von der Akustik her gab es im ersten Akt leichte Textunverständlichkeiten, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass das Orchester insbesondere die weiblichen Stimmen übertönte. Im Verlauf wurde dies aber immer besser und sollte daher nicht zu sehr ins Gewicht dieser Betrachtung fallen.
Zu den Darstellenden:
Diese sind erneut – wie an diesem Haus üblich – allesamt grandios. Gesanglich sticht Matteo Ivan Rašić in seinen nicht ganz einfachen Parts glanzvoll mit seinem strahlenden Tenor hervor – auch in den Ensemblenummern hört man ihn sofort heraus.

Ludwig Mittelhammer und Daniel Prohaska gefallen gesanglich ebenso. Neben reizender Optik bietet die junge Damenriege mit Sophia Keiler als kesse Paula

Andreja Zidaric als heiratsunwillige Freda

und Anna-Katharina Tonauer als emanzipierte Jeanne ansprechende Sanges- und Schauspielleistungen.
Vom Schauspiel her punktet Daniel Prohaska sehr komödiantisch mit seinem Botanikprofessor Erasmus Müller, Hobbyphotograph und verkannter Schauspieler, der nie auf der Bühne reüssieren durfte, und gerade deshalb jede Möglichkeit wahrnimmt, in diesem Fach zu glänzen. Running Gags sind sein „Kennen Sie Herzogenburg? – Nein? – macht nichts!“ und der stoisch staubtrockene Kommentar von Diener Sebastian alias Erwin Windegger „alles fügt sich“.

Immer wieder gern gesehen ist überdies Robert Meyer, der hier dem Amtsmann Heffele vordergründig sittenstrenge Kontur verleiht, nichtsdestotrotz aber natürlich dem allgemeinen Schluss-Gelage auch nicht entkommt, wie auch seine resolute Gattin Malwine (Regina Schörg) nicht.

Hier folgend bildlicher Verlauf der Operette:
Die Gruppe aus Künstlern rund um die Sängerin Pauline und ihre Freunde, die Forststudenten, treffen völlig durchnässt vom Wolkenbruch mitten im Wald im in Renovierung befindlichen Hotel „Zur Waldmühle“ ein und suchen dort Unterschlupf

Der Professor der Botanik, Erasmus Friedrich Müller (Hobbyphotograph und verkannter Schauspieler) trifft ebenfalls in diesem Hotel ein, er hat eine Verabredung mit der Frau des Amtsmanns Heffele, die angeblich einen neuen sensationellen Botanikfund entdeckt hat, den „schwarzen Waldmeister“.

Erasmus, nun in trockenen Leih-Klamotten, begegnet Jeanne, Paulines Sekretärin, und ist ziemlich angetan von ihr

Alle in der Waldmühle Gestrandeten treffen aufeinander – die junge Freundestruppe mittlerweile ebenfalls in trockenen Kleidern – von Hausmeister Martin bereitgestellte Berufskleidung der normalerweise dort tätigen Angestellten

Die Freunde klären Botho darüber auf, dass seine angebetete Freda, in die er sich Hals über Kopf bei einer Begegnung im Wald verliebt hat, die Verlobte von seinem Vorgesetzten Oberforstrat Tymoleon Gerius ist. Er ist entsprechend am Boden zerstört.

Die Honoratioren der Kleinstadt sind von Paulines freizügigem Lebensstil so gar nicht begeistert und fordern sie auf, den Ort zu verlassen. Es prallen junge Lebenslust und dörfliches Spießbürgertum aufeinander.

Botho und Freda, die beiden Love Birds

Tymoleon ist sichtlich verwirrt, als er gleich von zwei reizenden jungen Damen bezirzt wird. Diese verfolgen natürlich einen Plan …

Alle sind versammelt bei der Verlobungsfeier von Freda und Tymoleon: wieder mal der eklige kalte Lindenblütentee der Frau Heffele? Nein, diesmal nicht … !

Amtmann Heffele und Diener Sebastian manipulieren mittels schwarzer Tinte die eigentlich hellgrüne Waldmeisterpflanze

Die berauschende Wirkung der Waldmeisterbowle schlägt voll durch – die richtigen Paare finden sich endlich

Es ist alles aufgeflogen, die Manipulation von Heffele mit dem „schwarzen“ Waldmeister, er beichtet alles seiner Gattin, diese ist not amused.

Ende gut, alles typisch Operettig-gut: nach heillosem Durcheinander fügt sich alles, wie Diener Sebastian stoisch ja eh schon immer zwischendurch verkündet hat.

Schlussapplaus:











Das Kreativ Team



Premierenfeier: Intendant und Regisseur Josef E. Köpplinger

Die junge Hauptdarstellerriege: Anna-Katharina Tonauer, Matteo Ivan Rašić, Andreja Zidaric, Sophia Keiler, Ludwig Mittelhammer

hier noch mit Robert Meyer

Das Werk ist im Rahmen eines Gastspiels des Gärtnerplatztheaters für drei Vorstellungen in Wien am 25., 27. und 28. April im Museumsquartier mit identischer Besetzung – einzige Ausnahme: Daniel Gutmann wird in Wien den Oberforstrat Tymoleon Gerius interpretieren – zu erleben. Und dann erneut in München wieder im Juni und Juli für weitere fünf Aufführungen.
Fazit: Nach etwas betulichem Beginn steigert sich die Operette im Verlauf zu höchst vergnüglichem Hör- und Sehgenuss. Das vorzügliche Solisten- und Chorensemble ist mit immenser Spielfreude zugange und insofern kann man sich das Beziehungs-Gewusel mit den vielen eingebauten erheiternden Bonmots durchaus auch mehr als einmal zu Gemüte führen.
Videos vom Schlussapplaus 10. April zu sehen auf meiner Instagram-Präsenz.
Weitere Infos auf Gärtnerplatztheater – Waldmeister
Fotocredits: Bühnenfotos © Marie-Laure Briane,
Schlussapplaus und Premierenfeier © Musical Reviews
Silvia E. Loske, März 2025
Operette von Johann Strauss, Libretto von Gustav Davis
Neufassung für das Staatstheater am Gärtnerplatz: Josef E. Köpplinger
Musikalische Leitung: Michael Brandstätter
Regie: Josef E. Köpplinger
Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit
Bühne: Walter Vogelweider
Kostüme: Uta Meenen
Licht: Peter Hörtner / Josef E. Köpplinger
Dramaturgie: Karin Bohnert
Darstellende:
Christof Heffele, Amtsmann: Robert Meyer
Malvine, seine Frau: Regina Schörg
Freda, deren Tochter: Andreja Zidaric
Tymoleon Gerius. Oberforstrat: Ludwig Mittelhammer
Botho Wendt, Forststudent: Matteo Ivan Rašić
Pauline Garlandt, Sängerin: Sophia Keiler
Erasmus Friedrich Müller, Professor der Botanik: Daniel Prohaska
Jeanne, Paulines Freundin und Privatsekretärin: Anna-Katharina Tonauer
Stadtrat Danner: Caspar Krieger
Martin, Hausmeister / Sebastian, dessen Zwillingsbruder: Erwin Windegger
Erich, ein Forststudent, Freund von Botho: Alexander Findewirth
Regina, eine Kollegin von Pauline: Riccarda Schönerstedt
Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz