EVITA

Freilichtbühne Am Roten Tor, Staatstheater Augsburg
Premiere 21. Juni 2025

Nach den beiden Feelgood-Produktionen der vergangenen Jahre – Die drei Musketiere und Sister Act – gibt es in der diesjährigen Sommerproduktion am historischen Roten Tor in Augsburg gehaltvollere, will sagen schwerere Musicalkost. 1978 wurde das Werk EVITA von Andrew Lloyd Webber und seinem Librettisten Tim Rice uraufgeführt und ist seitdem eines der meistgespielten Musicals weltweit.

Die Thematik rund um das aufsehenerregende, kurze Leben der Eva Duarte, die als Evita Perón in Argentinien bis zum heutigen Tage teils als Heilige verehrt und teils verdammt wird, gibt massenhaft Stoff für ein spannendes Musiktheaterereignis.

Beklemmende Bezüge zur heutigen Politiklandschaft mit Machtmissbrauch, offener Korruption und der Manipulierbarkeit ganzer Völker sind leider hochaktuell. Evita Perón war die wohl erste Influenzerin überhaupt, und dies seinerzeit gänzlich ohne Social Media.

Ihre schillernde Persönlichkeit polarisierte in höchstem Maße, keine der nachfolgenden Zuordnungen trifft komplett zu: von hochstilisierter Heiliger, die ausschließlich mildtätig und großherzig war bis hin zur kalten Karrieristin, die nur mit Kalkül ihrem Eigennutz frönte, Gelder veruntreute, Männer verschließ, die ihrem Weiterkommen förderlich waren. Daher lautet eine Zeile in ihrem letzten Lied so treffend „Niemand wird mich je verstehen“.

Die Augsburger Inszenierung fährt alles auf, was zur Verfügung steht: drei hochkarätige Gast-Solisten,

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der hauseigene Opernchor und das Ballett sowie Musicalensemble und Kinderchor der Young Stage e.V. Nicht zu vergessen die Augsburger Philharmoniker, die in 39 Mann/Frau-Stärke unter der musikalischen Leitung von Sebastiaan van Yperen die neue symphonische Fassung des Werks verstärkt durch Schlagzeug, Keyboard und E-Gitarren mit Verve volltönend präsentieren.

Andrew Lloyd Webbers Partitur besticht durch große Solo-Arien, temperamentvolle Ensemblenummern mit Latino/Tango/Walzer-Elementen und auch mit reichlich dissonant daherkommenden sperrigen Songs, die überaus gekonnt die Brüche in der Handlung reflektieren.

Im Nachfolgenden ein Einblick in die Handlung anhand bei der Generalprobe erstellter aussagekräftiger Bilder:

Ein Trauerzug mit bunt kostümierten Trauernden – in Anlehnung an die in Mexiko beheimatete Tradition des zelebrierten Tages der Verstorbenen (anstelle des in sonstigen Inszenierungen komplett in schwarz gehüllten Trauervolks) betritt gemessenen Schrittes und unter wuchtigen dramatischen Klängen die große Bühne. Was nun Mexiko mit Argentinien zu tun haben soll in diesem Kontext, erschließt sich nicht. Der Schauwert der bunten Kostümierung indes ist auf jeden Fall gegeben.

„Was für ein Zirkus, welch eine Show“ – zynisch distanziert kommentiert der Student Che, der als Erzähler durch das Stück führt, das Totenkult-Spektakel des argentinischen Volks

Eva Perón entsteigt dem Sarg mit dem Prolog „Wein nicht um mich Argentinien“

In der Rückblende sehen wir in der Provinz die 15-jährige Eva, aus einfachen Verhältnissen stammend, die unbedingt nach oben will. Der schmierige Tangosänger Antonin Magaldi wird von ihr als erster Liebhaber auserkoren. Mit ihm geht sie nach Buenos Aires, um dort ihr Glück zu machen. Magaldi wird dort umgehend ausgemustert, mit jedem weiteren Liebhaber ertrotzt sie sich weitere Vorteile.

„Hallo, Buenos Aires“ – die junge Eva ist voller Elan und Tatendrang

Ohne jegliche Skrupel, sondern durchaus auch mit krimineller Gewalt, räumt der Nachwuchspolitiker Juan Perón alle unliebsamen Gestalten aus dem Weg

machtbesessen korrumpiert er einflussreiche Militärs

Auf einem Wohntätigkeitsball zugunsten der Opfer eines Erdbebens läuft Perón dort, natürlich von der Titelheldin mit Kalkül eingefädelt, der jungen Eva Duarte in die Arme, und ist sofort fasziniert von ihr

Sie suggeriert ihm „Ich wär gut für Dich“, er glaubt ihr sofort

Peróns bisherige sehr junge Geliebte wird von Eva aus dessen Wohnung geworfen, „Du nimmst den Koffer wieder in die Hand“

Che kommentiert die Geschehnisse auf die ihm eigene süffisante Art

Die obere elitäre Bürgerschicht, der Adel und die Militärs verachten die neue Frau an Peróns Seite

Das einfache Volk jubelt dem Paar zu und erhofft sich großen Wandel

Noch schwankt Perón, ob er das Amt des Präsidenten ausüben soll oder es nicht bequemer wäre, im Liegestuhl am Swimmingpool die Tage zu verbringen

Eva lässt das auf keinen Fall gelten, sie treibt ihn an „sei kein Feigling“

Drohend insistiert Perón gegenüber dem Volk, dass es bei der anstehenden Präsidentenwahl nur eine einzige Option gibt – ihn!

Beide sind sich einig und wiegeln das Volk in ihrem Sinne auf – heutzutage spräche man von einem Power-Couple

„Wach auf, Argentinien“ – mitreißende große Ensemblenummer am Ende Akt 1

Akt 2: die schäbige Häuserfront öffnet sich mittig und der berühmte Balkon der Casa Rosada fährt nach vorne (großartig!)

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Der ikonischste Moment des Stücks – Eva mit „Wein nicht um mich Argentinien“

Ab diesem Zeitpunkt bastelt Eva erfolgreich an ihrem Mythos, Che ist beeindruckt …

Eva Perón wird zur Stil-Ikone, kleidet sich in Dior

„Die Regenbogentour“ – Eva bereist europäische Länder, lässt sich wie ein Popstar feiern und erhält sogar im Vatikan beim Papst Audienz. Jedoch von Vielen wird sie abgelehnt, und während ihres Aufenthalts in Frankreich schwinden ihre Kräfte, sie merkt, dass etwas mit ihrem Körper nicht stimmt.

„Jung, schön und geliebt“ konstatiert Che und fragt sich, was noch kommen soll, wenn man bereits in jungen Jahren, Eva ist gerade 26, alles erreicht hat.

Die nächsten Jahre verbringt Eva damit, ihre wohltätige Stiftung zu gründen, Gutes zu tun, Reformen im Land durchzusetzen. Sie wird deswegen von den Armen verehrt, und weiterhin von der Bürgerschaft verachtet.

Doch bald schon zeigen sich erhebliche gesundheitliche Probleme. Eva weiß, dass sie sterben wird und erahnt entsetzt ihre eigene Beisetzung, „Santa Evita“

In einer Art Totentanz kommt es zu einem letzten Walzer mit Che inmitten schauriger Gerippe,

Eva bricht in Che’s Arm zusammen, ihr Körper gibt auf

Perón ist sich darüber im Klaren, dass ohne Eva er sich nicht mehr wird halten können

Che spricht es deutlich aus: ohne sie bist Du nichts!

Eva will in übermenschlicher Willenshärte nicht aufgeben, sogar das Vizepräsidentenamt möchte sie noch erkämpfen

Doch es ist zu spät: die Eheleute müssen sich schmerzlich eingestehen, dass Evas Ende bevorsteht

All ihre nur noch minimal vorhandenen Kräfte sammelnd hält Evita ihre letzte Radioübertragung und wendet sich mit brüchiger Stimme an ihr Volk

Evitas Zeit ist abgelaufen, wie Che anhand seiner Taschenuhr demonstriert

„Was ich tat, es ist geschehen, niemand wird mich je verstehen“

Mit nur 33 Jahren erlischt das Leben der Evita Perón aufgrund einer Krebserkrankung, die sie bewusst nicht behandeln ließ. Sie geht ins Licht, Che wartet bereits auf sie im Hintergrund, Juan Perón steht hilflos daneben.

Man erlebt eine dichte Aufführung ohne Längen. Die drei Hauptdarsteller Katja Berg als Evita, Hannes Staffler als Che und Alexander Franzen als Juan Perón verfügen über die erforderliche Erfahrung und sorgen durch ihre zwingende Bühnenpräsenz dafür, dass man gebannt ihr Spiel verfolgt. Die durchaus herausfordernden Gesangsparts meistern alle drei superb.

Was Katja Berg als Evita – so gut wie durchgehend auf der Bühne präsent – leistet, ist sehr bemerkenswert. Sie schafft es, dass man die anfangs nicht unbedingt sympathische Hauptfigur im Verlauf des Stücks näher an sich heranlässt, ja sogar am Ende mit ihr mitleidet. Ihre beiden männlichen Co-Stars stehen ihr dabei nicht minder überzeugend zur Seite, sowohl Hannes Staffler als auch Alexander Franzen sind grandios besetzt und leben ihre Rollen.

Eine Figur, die im Originalbuch nicht vorkommt, hat Regisseur Florian Mahlberg für die Augsburger Fassung integriert: ein junges Mädchen, welches als „La Vida“ immer wieder in verschiedenen Szenen auftaucht und die unschuldige, reine Eva Duarte darstellen soll.

Das Ballett tanzt überaus schwungvoll und mitreissend, das Bühnenbild mit der abgeratzten schiefen Häuserfront ist bestens gelungen. Die Kostüme, insbesondere Evas Roben, sind sehr schön. Etwas seltsam muten die im zweiten Akt präsent hervorstechenden Kostüme des Balletts in Knochengerippen an, sollen offenbar deutlich auf den folgenden Totentanz verweisen. Das Lichtdesign ist stimmig und der Ton für eine Freilichtaufführung überaus passabel.

FAZIT: Sehr empfehlens- und sehenswerte Produktion auf der nach meiner Ansicht schönsten Freilichtbühne Deutschlands mit hochkarätigen Gastsolisten und allem, was das Staatstheater Augsburg zu bieten hat. Daher rasch Karten sichern, bevor alles ausverkauft ist.

Silvia E. Loske, Juni 2025

Schlussappaus:

Copyright aller Fotos: © Musical Reviews
Schlussapplausvideo auf Instagram unter _musical_reviews

Infos und Tickets: Evita — Staatstheater Augsburg

Musical von Andrew Lloyd Webber, Partitur und Tim Rice, Libretto und Gesangstexte

Kreative:
Musikalische Leitung: Sebastiaan van Yperen
Inszenierung: Florian Mahlberg
Bühne: Karel Spanhak
Choreographie: Ricardo Fernando
Kostüme: Nora Johanna Gromer
Licht: Ron Heinrich
Dramaturgie: Sophie Walz, Nicolas Lewy

Darstellende:
Eva Perón: Katja Berg
Che: Hannes Staffler
Juan Perón: Alexander Franzen
Augustin Magaldi: Gerhard Werlitz
La Vida: Nina-Noelle Ingiliz O.
Musicalensemble des Staatstheaters Augsburg

Ballett und Opernchor des Staatstheaters Augsburg
Kinderchor und Musicalensemble Young Stage e.V.
Augsburger Philharmoniker