Uraufführung Festspielhaus Neuschwanstein 30. Juni und
Preview Deutsches Theater München 3. Juli 2025

© Deutsches Theater München
Sollte diese historische Geschichte um den NS-Widerstand einer Gruppe junger Menschen, die ihren Mut mit dem Leben bezahlten, als Musical aufgeführt werden? Unbedingt, meinen die kreativen Köpfe Alex Melcher (Musik) und seine Frau Vera Bolten (Buch), die sechs Jahre lang an dem Stück gearbeitet haben, und mit derartigen Fragen im Vorfeld konfrontiert wurden. Ehrlich gesagt verstehe ich die Fragestellung schon mal gar nicht:
Selbstverständlich MUSS dieser Stoff aktuell auf die Bühne, gerade in unseren heutigen Zeiten, in denen allerorten der Rechtsradikalismus aus den Sümpfen kriecht, sehr besorgniserregend wieder erstarkt. Wieso kein Musical darüber? Der Film von Michael Verhoeven aus 1982 wurde anfangs infrage gestellt, und letztlich dann mit Preisen, völlig zu Recht, überhäuft.
Musical ist bei Weitem nicht nur schneller Konsum von Gute-Laune-Tralala. Es gibt genügend Beispiele, dass sich schwere Stoffe ganz besonders für diese Musiktheaterform eignen (Next to Normal, Les Misérables, Dear Evan Hansen, um nur einige zu nennen). Jeder Einzelne, der nach dem Besuch dieses hervorragend umgesetzten Musicals nachdenklich nach Hause geht, ist ein Gewinn und deshalb: Ein unbedingtes, uneingeschränktes „JA!“, die Geschichte der Weißen Rose in dieser Form auf die Bühne zu bringen.
Im Übrigen gab es bereits im April 2023 ein vielbeachtetes Musical zur Thematik, Scholl – Die Knospe der Weißen Rose, aufgeführt am Stadttheater Fürth von Thomas Borchert, Musik, und Titus Hofmann, Buch. Erzählt wurde hier die Geschichte der jungen Widerstandskämpfer aus der Sicht der einzig damals Überlebenden, Traute Lafrenz (verstorben im Alter von 103 Jahren im März 2023). Die Gruppe ist im Stück auf einer Skiferien-Auszeit auf einer verschneiten Hütte in Tirol zu Silvester 1941/1942 und man wird Teil ihrer Hinterfragungen und letztlich Entscheidungen, gegen den Naziterror vorzugehen. Bericht siehe hierzu auf dieser Plattform vom 17.04.2023.
Zum neuen Werk Die weiße Rose: Hier wird stringent historisch genau der Verlauf erzählt, Einblendungen der Daten zu den jeweiligen Szenen helfen dabei. Anhand der gesicherten Briefe, Gedichte und Zeichnungen der Mitglieder der Weißen Rose, welche sowohl in die Dialoge als auch die Songtexte einfließen, entsteht eine ganz besondere Dichte, die sofort gefangen nimmt und einen während der ganzen Vorstellung nicht mehr loslässt.
Unterbrochen wird der chronologische Fortgang durch beklemmende Verhörszenen, welche in späteren Jahren stattfanden.
Auf einer schwarz minimalistisch gehaltenen Bühne sehen wir ein junges Mädchen, Sophie Scholl, die malend in der Natur ihr Glück besingt, „Heimat“. Im Hintergrund erstehen Illustrationen, die auf Sophies Originalzeichnungen gründen.

© Michael Böhmländer

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Die Familie Scholl im Schwäbischen findet sich zum Abendessen am Tisch ein und die beiden Heranwachsenden Hans und Sophie vertreten glühend ihre Ideale der Hitlerjugend bzw. BDM (Bund Deutscher Mädchen) den Eltern gegenüber. Vater Robert Scholl mahnt eindringlich zur Vorsicht, er ahnt bereits, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Die Mutter wirft am Ende der Diskussion entnervt ein „können wir nicht einmal ohne Hitler essen?“.
Der hochsensible Hans wird an die Westfront zum Sanitätsdienst abkommandiert und muss dort im Lazarett das Elend der Verwundeten erleben. Er schwärmt von Frankreich, Versailles und speziell Paris und wünscht sich so sehr, dies alles ohne Krieg erleben zu dürfen „könnte ich doch in Frieden durch diese Straßen gehen“. Längst hat er schmerzlich realisiert, wie sehr er in der Hitlerjugend manipuliert wird und was tatsächlich für unermessliches Leid von Hitler-Deutschland in die ganze Welt getragen wird.

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Sophie und der junge Feldwebel Fritz Hartnagel verlieben sich und tauschen poetische und innige Briefe aus. In mehreren Szenen verlesen sie, auf der Bühne nur ein paar Meter voneinander entfernt, in der Realität aber in verschiedenen Ländern getrennt, ihre Gedanken. Sie sprechen sich gegenseitig Mut zu „Es braucht einen harten Geist, und ein weiches Herz“. Dieses lyrische Lied von Sophie geht massiv unter die Haut.

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Blick auf die Bühne nach Ende des ersten Akts. Der Song zum Finale 1, kraftvoll von allen Beteiligten mit treibenden Beats dargeboten, gräbt sich tief ein „Die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!“.

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Die Idee, aktiv gegen das Unrechtsregime vorzugehen, greift immer mehr Raum unter den Freunden. Man müsse eigene Texte verfassen um aufzurütteln und diese an die Bevölkerung, in erster Linie an Studenten, weiterleiten.

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Die Freunde organisieren sich, Alex Schmorell, engster Freund von Hans, besorgt eine Schreibmaschine, man überlegt, wie man an Vervielfältigungsapparate herankommen könne, es braucht Matritzen, Papier, Kuverts und Briefmarken in großen Mengen – dies alles muss besorgt werden, ohne aufzufallen. Ein riesiger logistischer Aufwand. Und eine stetige Gefahr.

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Für einen Rieseneklat an der Uni sorgt ein Gauleiter mit seiner Rede – explizit wendet er sich gegen junge Studentinnen – diese sollten gefälligst ihrer eigentlichen Aufgabe im Staate nachkommen und dem Führer Kinder schenken, anstelle die Studienplätze zu blockieren!

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Die Gruppe erstellt die ersten Flugblätter

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In Einblendungen sieht man, welche Stückzahlen in den jeweiligen Großstädten und Unis in Deutschland und Österreich durch Postversand verteilt wurden. Die Gruppenmitglieder fahren selbst in die Städte mit Koffern voller Flugblätter, werden häufig kontrolliert, ein sehr gefährliches Unterfangen. Und in den Städten selbst werden dann die kuvertierten Schriften in möglichst viele Briefkästen eingeworfen.

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Der 18. Februar 1943 – Hans und Sophie haben jeweils einen Koffer voll mit dem letzten Flugblatt No 6 und machen sich auf in die Uni München.

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Das fatale Ende ist unausweichlich: Sophie wirft im Lichthof der Ludwigs-Maximilians-Universität ihre noch verbliebenen Flugblätter von der Balustrade herunter. Und wird dabei entdeckt vom Hausmeister und von diesem denunziert. Die Verhaftungen der Mitglieder der Weißen Rose folgen umgehend.

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Mit hysterisch sich überschlagender Stimme bellt Nazi-Richter Freisler auf Professor Huber, von Hans verehrter Dozent und Mitglied der Weißen Rose, ein.

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In beklemmend mit kaltem Weißlicht ausgeleuchteten Szenen sieht man die sechs Mitglieder der Weißen Rose Sophie und Hans Scholl, Alex Schmorell, der junge Vater Christoph Probst, Willi Graf und Professor Huber im Spot wie sie nach zwei Schauprozessen, in denen sie beschimpft und zum Tode verurteilt wurden, die Texte der Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen verlesen. „An deiner Seite werd ich sein – heut und in Ewigkeit“.
Dann ist es totenstill und im Hintergrund werden die Daten ihrer Hinrichtungen eingeblendet.
Es folgt Fluglärm, die Britische Royal Air Force wirft in ihren Angriffsflügen auf deutsche Großstädte das letzte Flugblatt No 6 der Weißen Rose ab – „um den Anständigen Gehör zu verleihen“.
Die jungen Darstellenden spielen, singen und tanzen mit einer Leidenschaft, die enormen Respekt auslöst. Was für eine grandiose Cast haben Vera Bolten und Alex Melcher hier zusammengestellt.

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Es erscheint aufgrund der von allen gezeigten Leistungen nicht fair, Einzelne hervorzuheben. Friederike Zeidler als junge, künstlerisch so begabte, hochintelligente, integere und sehr klare junge Sophie Scholl ist ein Bühnenereignis. Gleiches trifft auf Jonathan Guth als Hans Scholl zu, der gerade erst seine Ausbildung beendet hat. Diese beiden jungen Künstler beeindrucken nachhaltig. Doch auch Adam Demetz als der unkonventionelle Alexander Schmorell, Halbrusse und bester Freund von Hans, bleibt durch seine Darstellung und kraftvolle Rockstimme in Erinnerung.
Und Maximilian Aschenbrenner als junger Vater von drei kleinen Kindern, hin- und hergerissen zwischen der Verantwortung für seine Familie und seinen Idealen, berührt unglaublich. Noch mehr, wenn er beim Schlussapplaus mit Tränen in den Augen einfach nur dasteht und stumm ins Publikum blickt.

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Die beiden älteren Erwachsenen im Stück werden grandios von den erfahrenen Darstellern Martin Planz (Doppelrolle Vater Scholl und Professor Huber) und Daniel Berger, der für die Nazischergen Antagonistenrollen zuständig ist, porträtiert.
Glückwunsch und großen Respekt an die kreativen Köpfe, Alex Melcher & Vera Bolten, beide seit langem im Musicalgenre als arrivierte Darsteller bekannt. Dem Paar ist mit diesem Stück etwas ganz Außergewöhnliches gelungen.

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Die Bühne ist minimalistisch gehalten und somit stehen die Menschen im Stück noch mehr im Fokus. Es gibt zwei Stahltreppen, die mit Rollen an die jeweils erforderlichen Positionen gefahren werden und damit immer neue Zusammenstellungen ermöglichen.
Eine geniale Idee sind viele schwarze Würfel/Kuben, die blitzschnell vom Team zu Sitzgelegenheiten, Tischen, Spülen, Podesten zusammengesetzt werden, dies funktioniert ganz hervorragend. Maßgeblich zur mit wenigen Handgriffen immer neu erstehenden Bühnenlandschaft trägt die innovative Choreographie von Bart de Clercq bei, der die Elemente in sein Konzept mit einbaut und überdies die zwölf Darstellenden in den großen Ensemblenummern großartig tanzen lässt.
Licht und Ton sind vorzüglich gesetzt und ausgesteuert.
Die Partitur geht gut ins Ohr und die auf der Bühne mittig hinter einer Vertafelung spielende Band, mal sichtbar, die meiste Zeit jedoch nicht, bildet zusammen mit den Bühnenkünstlern eine Einheit, Bravo!
Fazit: Enorm berührend und wunderbar umgesetzt. So wichtig! Ein Must-See! Sehr zu empfehlen ist der Erwerb des Programmheftes, das ganz hervorragend die Vorgänge auflistet, erklärt, Zeitzeugen zitiert, Originalschriftstücke sind abgedruckt.
Ab 10. Juli 2025 wird weiter aufgeführt im Festspielhaus Neuschwanstein, auch gibt es spezielle Schülervorstellungen.
Infos & Tickets:
Die weiße Rose – Festspielhaus Neuschwanstein
Silvia E. Loske, Juli 2025
Musical von Alex Melcher (Musik, Songtexte & Arrangements) und Vera Bolten (Buch, Songtexte, Regie)
Kreative:
Musik: Alex Melcher
Buch: Vera Bolten
Choreographie: Bart de Clercq
Musical Supervision: Marc Tritschler
Musikalische Leitung: Johannes Still & Stefan Wurz
Sound: Sven Raff
Illustrationen: Jens Hahn
Licht: Andreas Hönig
Bühne: Marcus Bendel
Kostüm: Franziska Wüst
Darstellende:
Sophie Scholl: Friederike Zeidler
Hans Scholl: Jonathan Guth
Alexander Schmorell: Adam Demetz
Willi Graf: Julius Störmer
Christoph Probst: Maximilian Aschenbrenner
Robert Scholl/Kurt Huber: Martin Planz
Traute Lafrenz: Tamara Köhn
Fritz Hartnagel: Oliver Natterer
Inge Scholl: Juliette Lapouthe
Magdalena Scholl: Claudia Dilay Hauf
Gestapo/Roland Freisler: Daniel Berger
sowie Christian Rock und Michalea Thurner (Swings)
9-köpfige Band unter der MD Leitung von Johannes Still und Stefan Wurz