Tiroler Festspielhaus Erl, 18. April 2025
Reichlich Negatives gab es seit 2018 um die Erler Festspiele – zuerst wurde der Gründungsintendant wegen schwerwiegender Vorwürfe (Amtsmissbrauch, Übergriffigkeiten gegenüber weiblichen Künstlerinnen) geschasst, dann wurde der Vertrag des Nachfolgers nicht verlängert. Viel Rauschen im Schlagzeilen-Blätterwald. Bis 2023 bekannt gegeben wurde, dass Startenor Jonas Kaufmann im September 2024 die Festspielintendanz übernehmen würde.
Der zugkräftige Name scheint gehörigen Aufwind zu verursachen, man geht gemeinsam offenbar mit großer Freude und Elan daran, die Festspiele neu erstrahlen zu lassen.
Am gestrigen Karfreitag legte die Festspielleitung Vormittags in einer Pressekonferenz den Spielplan für die Saison 2025/2026 vor und am Nachmittag, Beginn 15:00 Uhr, durfte man die berühmte Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, erstmals 1727 aufgeführt, erleben.

Als Erl-Neuling war ich ziemlich angetan von der guten Organisation rund um die Festspiele: ein nagelneues Parkhaus, kostenfrei. Garderobe und Programmheft, kostenfrei. Die Kartenpreise erstaunlich günstig. Wo gibt es so etwas in der Kulturlandschaft heutzutage noch?
Die Mitarbeitenden im Festspielhaus fast allesamt sehr freundlich und entgegenkommend. Habe mich auf Anhieb wohlgefühlt. Im Auditorium steil ansteigende Sitzreihen, daher von jedem Platz aus beste Sicht, bequem gepolstert und mit viel Beinfreiheit. Auch das sehr komfortabel, wenn ich da an diverse Theater denke, wo genau das Gegenteil der Fall ist …
Vor Beginn der ausverkauften Vorstellung betritt Jonas Kaufmann die Bühne und wird sofort bejubelt. Normalerweise verheißt es nichts Gutes, wenn ein Intendant vor die Zuschauer tritt, geht es doch dann fast immer um die Verkündung von Ausfällen bei Sängern/Darstellern. War auch in diesem Fall so, jedoch hat man hinter den Kulissen rasch und gut Abhilfe für die Ausfälle von zwei der sechs Solisten geschaffen.

Der Erzähler, der durch die Passion führt, der Evangelist, war indisponiert. Auf die Schnelle für diese tragende Rolle Ersatz zu finden, ist eine Herausforderung. Zum Glück sprang Paul Schweinester, der die Tenorpartie hätte singen sollen, ein und übernahm den Part. An seine dann vakante Stelle trat der junge niederösterreichische Tenor Johannes Bamberger, der anderweitig die Partie schon interpretiert hatte.

Ebenfalls krankheitsbedingt fiel die Sopranistin aus und konnte durch Lydia Teuscher ersetzt werden. Somit war die Aufführung gesichert, großes Aufatmen. Und Respekt an die drei Beteiligten, so schnell eingesprungen zu sein.
Das Bach’sche Werk beeindruckt natürlich in erster Linie durch die Dramatik der Passion Christi. Ein über 70-köpfiger Chor, verstärkt durch einen fulminanten Kinderchor, erzeugt durch die Schönheit der Partitur verschärfte Gänsehaut, man kann sich diesem Sog nicht entziehen. Virtuos geleitet werden die Choreinsätze und das große Orchester durch den Musikalischen Leiter Heinz Ferlesch.

Die sechs Solisten beeindrucken allesamt. Jesus wird von dem jungen Bass Lukas Enoch Lemcke gesungen, er berührt auf Anhieb.

Lukas und Bariton Daniel Gutmann sind im gefeierten Solistenensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz und mir von dort in vielen Hauptrollen bestens bekannt. Die beiden waren der Grund, dass ich mich auf den Weg nach Erl gemacht habe. Und es nicht bereut habe, ganz im Gegenteil.

Lukas Enoch Lemcke, Daniel Gutmann und Johannes Bamberger, der als Tenor eingesprungen ist.


Die Jesus-Partie ist – zusammen mit dem Evangelisten – sehr präsent im ersten Teil des Oratoriums, unten Lukas Enoch Lemcke und Paul Schweinester.

Im zweiten Teil ist die Bass-Partie durch Daniel Gutmann stark vertreten. Insgesamt interpretiert er vier Arien, als letzte davon die wohl bekannteste „Mache Dich, mein Herze, rein„. Auch wenn ich mich bemühe, unparteiisch zu erscheinen, muss es doch klar und absolut verdient gesagt werden: Bühnenpräsenz, stimmliche Interpretation – es war einfach großartig, Bravo!




Daniel Gutmann, Johannes Bamberger, Lydia Teuscher, Katrin Wundsam


Daniel Gutmann & Johannes Bamberger wünschen Frohe Ostern
Fazit: Erl ist definitiv eine Reise zu den Festspielen wert. Hochklassiger Kulturgenuss, erstklassige Organisation. Und von München aus fast ein Katzensprung, in 50 Minuten war ich zuhause. Gerne wieder!
Alle Fotos: © Musical Reviews
Video vom Schlussapplaus auf meiner Instagram-Präsenz
Silvia E. Loske, April 2025
Matthäus-Passion, Johann Sebastian Bach, Oratorium in zwei Teilen
Matthäus-Evangelium in der Übersetzung von Martin Luther
Evangelist: Paul Schweinester
Jesus: Lukas Enoch Lemcke
Sopran: Lydia Teuscher
Alt: Katrin Wundsam
Bass: Daniel Gutmann
Tenor: Johannes Bamberger
Chor der Tiroler Festspiele Erl
Einstudierung: Olga Yanum
Kinderchor der Schule für Chorkunst München
Leitung: Maksim Matsiushenkau
Orchester der Tiroler Festspiele Erl. Musikalische Leitung: Heinz Ferlesch