CABARET – Premiere München 21.02.2013

Eine Produktion des Gärtnerplatztheaters

Der neueste Musical-Streich unter der Intendanz von Josef A. Köpplinger findet in der Location Reithalle statt. Die dort vorhandenen 450 Sitzplätze eignen sich hervorragend für die intime Atmosphäre des verruchten Berliner Kit-Kat- Clubs. So finden sich im Parkett vor der Bühne runde Tische mit roten Lämpchen, um dieses Nachtclub-Feeling zu unterstreichen, und einigen Besuchern dort Platz zu bieten. Die meisten Zuschauer sitzen jedoch auf einer erhöhten Tribüne (auf unbequemen Plastikschalen). Zudem ist der Veranstaltungsraum leider völlig überheizt. Dies sind aber schon die einzigen beiden negativen Anmerkungen des Abends.

Bevor die Show beginnt kommt Intendant Köpplinger auf die Bühne um zu erklären, dass der aktuelle um sich greifende Grippevirus auch vor der Cast nicht haltgemacht hätte. Besonders hätte es Markus Meyer in der Rolle des Conferénciers erwischt, dieser würde, obwohl schwer angeschlagen, unbedingt die Premiere spielen wollen, man möge bitte nachsichtig sein. Nun, man merkt dem Burgschauspieler weder stimmlich noch darstellerisch etwas an, er wirft sich mit voller Verve in die Rolle des undurchsichtigen, grellen, beiden Geschlechtern (deutlichst in Two Ladies!) zugeneigten EmCee, Master of Ceremonies, und besticht mit großer Bühnenpräsenz.

Mit dem bekannten Willkommen – Bienvenue – Welcome eröffnet er grellgeschminkt und mit strähnigem Haar den Abend. Der Hosenstall steht durchgehend offen, sozusagen auf Stand-By. Mit im Takt wippenden Augenbrauen und grotesker Mimik stellt er die lasziven Kit-Kat-Girls vor, die dem drittklassigen Etablissement entsprechend ohne Glamourglitzer, sondern in hautfarbener Unterwäsche, deutlich gelangweilt, dafür aber mit umso eindeutigeren vulgären Gesten, ihren Auftritt absolvieren. Flankiert werden die Girls von mit reichlich Testosteron um sich werfenden Tänzern.

Das Bühnenbild bietet die optimale Plattform für das Geschehen: Unterteilt in zwei Ebenen findet sich oben das achtköpfige Orchester unter der Musikalischen Leitung von Andreas Kowalewitz (yes – even the orchestra is beautiful!) und in der unteren Ebene im Halbrund angeordnet viele Türen, die das ständige Kommen und Gehen sowohl im Kit-Kat-Club als auch und vor allem in der Wohnung des Fräulein Schneider bestens bedienen. Cliffords angemietetes Zimmer besteht lediglich aus ein paar Stühlen, einer auf dem Boden befindlichen Schreibmaschine, nichts weiter. Reicht aber völlig aus, denn die wunderbaren Darsteller füllen den Raum damit umso präsenter.

Oftmals steht und fällt eine CABARET-Inszenierung ja mit dem Starappeal der Darstellerin in der Rolle der Sally Bowles. Nun, bereits mit dem ersten Auftritt von Nadine Zeintl in diesem exaltierten Charakter ist diese Sorge weggewischt. Sie ist schlichtweg eine Sensation, ein Naturereignis. Aus dem Bauch heraus agierend, fesselt sie mit ihrer flatterhaften, oberflächlichen, teilweise obszönen, doch unterschwellig immer wieder mit zarter Verletztheit aufblitzender Darstellung. Ist man im ersten (ürigens mit 105 Minuten im Gegensatz zum zweiten mit 42 Minuten viel zu langen) Akt noch gefesselt von ihrem exzessiven Lebenshunger, so fliegen ihr besonders im zweiten Akt die Sympathien der Zuschauer zu, wenn diese Fassade brüchig wird.

Zum absoluten Highlight gerät ihre Interpretation des Titelsongs gegen Ende der Show. Gekrümmt vor Schmerzen nach ihrer eben erfolgten Abtreibung steht Sally einsam am Bühnenrand und krächzt den Beginn ihres Songs. Im Verlauf des Liedes nimmt wieder ihre fatalistische Lebenshaltung überhand und steigert sich bis zu explodierender Exaltiertheit. Völlig zu Recht ist das Publikum total begeistert und spendet tosenden Applaus.

Mit Ausnahme eines bewegenden Maybe this Time setzen Künstlerin und Regie nicht auf Schöngesang, sondern lassen die jeweiligen Emotionen direkt herausbrechen, was dann diese große Authentizität bewirkt.

An Sallys Seite als höflich-integrer, in Finanznöten steckender und neugierig das Berliner Nachtleben erkundender Schriftsteller Clifford Bradshaw überzeugt einmal mehr Dominik Hees, ein enorm vielseitiger, junger Darsteller. Zu singen hat er diesmal wenig, umso beeindruckender jedoch gerät seine schauspielerische Interpretation, er ist ein echter Sympathieträger.

Fräulein Schneider (Gisela Ehrensperger) und Herr Schultz (Franz Wyzner) rühren als ältliches Paar, das spät die Liebe findet, dem aber aufgrund des aufkommenden bedrohlichen Nazi-Regimes kein Happy-End beschert ist.

Das Ensemble überzeugt durchgehend, besonders in den exakt umgesetzten, mitreißenden Tanzszenen (Choreographie: Ramesh Nair) sprüht die Bühne Funken. Insbesondere gefallen die Stühle-Choreo bei Mein Herr und das witzige Money Money Money.

Überaus beklemmend ist der Inszenierung (Werner Sobotka) der hochkriechende, alles durchsetzende Nazi-Terror gelungen. Wird im ersten Akt noch schwerpunktmässig ständiges Kopulieren und Dekadenz als einziger Lebenszweck zelebriert, so befällt einen im zweiten Akt Beklemmung aufgrund der politischen Umschwünge. Genau aus diesen zwei völlig konträren Polen bezieht das Stück seine Kraft und Energie.

Licht und Ton passen bestens, gibt nichts auszusetzen.

Tosender Beifall des Premierenpublikums.

Fazit: Auch wenn das Stück immer wieder und ziemlich häufig auf den Spielplänen der Stadttheater steht, so ist es doch immer wieder eine Freude, die vielen Ohrwürmer von John Kander mit den frechen Lyrics von Fred Ebb und die dichte Story zu genießen. Diese aktuelle Inszenierung, für welche sich Intendant Köpplinger zwei seiner österreichischen Freunde für die Umsetzung ins Boot geholt hat, lebt und atmet den Tanz auf dem Vulkan im Berlin am Ende der 20-er Jahre. Ein Besuch lohnt sich definitiv!

Weitere Termine und Tickets unter www.gaertnerplatztheater.de

(rab, Februar 2013)

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Musik und Liedtexte

John Kander & Fred Ebb

Buch

Joe Masteroff

Regie

Werner Sobotka

Musikalische Leitung

Andreas Kowalewitz

Choreographie

Ramesh Nair

Bühne

Amra Bergman-Buchbinder

Kostüme

Elisabeth Gressel

Licht

Michael Heidinger

Dramaturgie

Judith Altmann

 

 

Darsteller:

 

Conférencier

Markus Meyer

Sally Bowles

Nadine Zeintl

Clifford Bradshaw

Dominik Hees

Fräulein Schneider

Gisela Ehrensperger

Herr Schultz

Franz Wyzner

Ernst Ludwig

Jens Schnarre

Fräulein Kost, Rosi

Julia Leinweber

Fritzi

Anita Holm

Helga

Alixa Kalasz

Inge

Maren Kern

Betti

Maxi Neuwirth

Max, Hermann, Gorilla

Alex Frei

Bobby

Timo Radünz

Viktor

Maximilian Widmann

Hans, Zollbeamter

Thomas Zigon

Two Ladies

Anita Holm, Timo Radünz

Hitlerjunge

Felix Nyncke