TSCHITTI TSCHITTI BÄNG BÄNG – München

Premiere Tschitti Tschitti Bäng Bäng 003.a

Produktion des Staatstheaters am Gärtnerplatz München, kontinentaleuropäische Erstaufführung im Prinzregententheater am 30.04.2014

Was für eine Show! Nach jahrelangem Bemühen um die deutschen Aufführungsrechte ist es Josef E. Köpplinger gelungen, die kontinentaleuropäische Erstaufführung für das Staatstheater am Gärtnerplatz zu verwirklichen. Wenn man seine in der erst eineinhalb Jahre währenden Münchner Intendanz temporeich und inszenatorisch perfekt auf den Punkt gebrachten Musicalproduktionen wie „Das weiße Rössl“, „Anything Goes“, „Der Mann von La Mancha“ oder auch die Operette „Der Bettelstudent“ miterlebt hat, dann war die Vorfreude auf dieses Spektakel für die ganze Familie bereits vorprogrammiert: Denn mit Sicherheit würde diese Show ein großes Ausrufezeichen in der aktuellen deutschen Musical-Landschaft setzen.

Und genau so ist es, ach was, es übertrifft noch alle Erwartungen bei Weitem. Noch nie zuvor hat man bei einer deutschen Musicalpremiere ein derart komplett vor Begeisterung ausrastendes Publikum erlebt, wie bei der „Tschitti“-Premiere. Bereits nach 15-minütiger Laufzeit der Show gibt es ständigen Szenenapplaus, Gejubel und Getrampel der Zuschauer im ausverkauften Münchner Prinzregententheater.

Köpplinger schöpft genüsslich aus dem Vollen: Grandioses Bühnenbild, phantastische Kostüme, beeindruckende Special Effects, unzählige urkomisch-liebenswert eingestreute Regieeinfälle und Gags. Und insgesamt tummeln sich 104 hochmotivierte Darsteller inklusive Chor, Kinderchor (großartig!), Ballett und Statisterie auf der Bühne; 45 Musiker sorgen im Orchestergraben unter dem engagierten Dirigat von Michael Brandstätter für wundervoll satten Sound. Dies alles setzt einen deutlichen Kontrapunkt zur aktuellen Einsparpraxis großer Musicalproduktionen, wo nur noch minimalst besetzte Orchester und reduzierte Darstellerriegen irrwitzigerweise gleichzeitig im Verbund mit grotesk erhöhten Eintrittspreisen jenseits der 120 € Marke einhergehen und damit immensen Unmut der Musicalbesucher verursachen.

Zur Geschichte des Musicals:
James Bond Autor Ian Fleming verfasste das Kinderbuch „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ als Gutenachtgeschichte für seinen Sohn Caspar. Anfang der Zwanzigerjahre gab es tatsächlich in England drei Rennautos eines exzentrischen jungen Grafen mit den Originalnamen Chitty Bang Bang, Ian Fleming dienten diese legendären Rennwägen als Inspiration zu seiner Geschichte.

Mit großem Erfolg wurde die Story um das eigenständig denkende Wunderauto, das fliegen und schwimmen kann, mit großem Staraufgebot wie Dick van Dyke und Gert Fröbe 1967/68 als überaus gelungenes Fantasy-Familienmusical verfilmt. Die Musik dazu lieferten die bekannten Sherman-Brothers, die bereits u. a. für „Das Dschungelbuch“ und „Mary Poppins“ die weltberühmten Kompositionen erstellten.

Zum Inhalt:
Der verwitwete und relativ erfolglose Erfinder Caractacus Potts lebt mit seinen beiden aufgeweckten Kindern Jeremy und Jemima, seinem schrullig-liebenswerten Vater und dem Familienhund Edison inmitten wundersamer Erfinder-Apparaturen in einer ehemaligen Mühle. Auf der Suche nach einem mechanischen Ersatzteil finden sich Caractacus und die Kinder in der Werkstatt von Mr Coggins ein und entdecken dort ein abgewracktes Rennauto, in das sich die Kinder auf Anhieb verlieben. Ein Schrotthändler will den Wagen für 30 Schilling kaufen, um daraus Alteisen zu machen. Die Kinder beknien ihren Vater, das Auto zu kaufen. Um den größten Wunsch seiner Sprößlinge zu erfüllen, verkauft Caractacus eine seiner Erfindungen, eine obskure Haarschneidemaschine, auf dem Jahrmarkt und erwirbt mit dem Erlös das alte Auto. Während des Aufenthalts in Mr Coggins‘ Werkstatt läuft ihm eine resolute junge Dame, Truly, Tochter des reichen Süßwarenfabrikanten Lord Scrumptious, auf ihrem knatternden Motorrad über den Weg. Die Kinder schließen Truly sofort in ihr Herz, während Caractacus zunächst schüchtern-spröde auf die forsche Lady reagiert. Natürlich kommt es, wie es kommen muss – die beiden verlieben sich.

Nach längerer Bastelei in seinem Schuppen präsentiert Caractacus seiner Familie das runderneuerte und strahlende Auto, das aufgrund seiner Motorengeräusche von den Kindern den Namen Tschitti Tschitti Bäng Bäng bekommt.

Im Lande „Vulgarien“ herrscht das merkwürdige Paar Baron und Baronin Bomburst. Der infantil-debile Baron ist völlig desinteressiert an Gattin und Politik, häuft jedoch wahnhaft Spielzeug aller Art um sich, er erfährt von einem Wunderauto in England und will dieses edlen Spielzeugs mit aller Macht habhaft werden. Dazu setzt das Herrscherpaar zwei tumbe Spione auf das Auto an, welche sich höchst skurril-unterhaltsam in verschiedensten Tarnungen daran machen, an das Auto heranzukommen und es zu klauen.

Tschitti selbst ergreift die Initiative und entzieht sich der Kaperung der beiden Spione während eines Familienpicknicks der Potts am Meer dadurch, dass es sich plötzlich in ein Luftkissenboot verwandelt. Daraufhin entführen die Vulgarier-Spione den gerade im Klohäusl befindlichen Großvater Potts, den sie irrtümlich für den Schöpfer des Wunderautos halten und verbringen ihn nach Vulgarien, wo er im Auftrag des Barons aus dessen Automobil ebenfalls ein Wunderauto kreieren soll. Caractacus, die Kinder und Truly machen sich gemeinsam mit Tschitti auf, den Großvater zu befreien und fliegen (jawoll, Tschitti kann auch das!) kurzerhand nach Vulgarien. In dem reglementierten und düsteren Ostblock-Staat angekommen erkennen Caractacus und Truly, dass dort Kinder völlig unerwünscht sind und es sogar einen vom Baronenpaar eingesetzten Kinderfänger gibt, der geradezu diabolisch alle Kinder im Staat fängt und verschwinden lässt. Caractacus, Truly und die Kinder werden vom gütigen Spielzeugmacher in dessen Laden versteckt, jedoch dem Kinderfänger gelingt es, Jeremy und Jemima zu kidnappen. Während des pompösen Geburtstagsfestes für den Baron gelingt es Caractacus und Truly, den geheimen Aufenthaltsort der versteckten Vulgarien-Kinder in der Kanalisation zu entdecken, die Kinder zu befreien und gemeinsam mit ihnen zum Sturm auf den Herrscherpalast anzusetzen. Der Kinderfänger wird in einem Netz strampelnd wie ein Käfer gefangen, Baron und Baronin werden entmachtet und fortan erblüht Vulgarien zu einem normalen Staat. Caractacus, Truly und die beiden Kinder fliegen mit Tschitti nach Hause, Großvater hat noch andere Pläne. Ende gut, alles gut.

Dies ist ein typisches Feel-Good-Musical für Groß und Klein. Die Münchner Inszenierung ist ein Bühnenzauber-Spektakel allererster Güte und wird sich, dem ohrenbetäubenden Applaus des Premierenpublikums nach zu urteilen, zu einem bahnbrechenden Hit entwickeln. Leider sind nur bis zum 18. Mai Aufführungen angesetzt, eine Verlängerung ist aufgrund der Quartier-Ausweichsituation (das Gärtnerplatztheater befindet sich bekanntlich noch bis Ende 2015/Anfang 2016 in Generalsanierung) nicht möglich. Daher ist man mehr als gut beraten, sich schnellstens um Karten für das grandiose Stück zu bemühen.

Das Bühnenbild ist schier unglaublich opulent und detailreich. Es beginnt wie in einem Kinofilm mit einem Projektions-Vorspann mit Nennung der Kreativen und der Darsteller, begleitet durch ein Show-Medley des Orchesters. Überhaupt die Projektionen: In Verbindung mit der beeindruckenden Bühnenausstattung befindet man sich mit diesen sofort hineinversetzt in Mr Coggins Werkstatt, das Zuhause der Potts, die Süßwarenfabrik von Lord Scrumptious, den Jahrmarkt, das romantische Picknick am Meer, Marktplatz und Schloss im Staat Vulgarien, den Laden des Spielzeugmachers, das Versteck der Vulgarien-Kinder und noch so vieles mehr. Ein immenser Aufwand wird hier betrieben – man darf dabei niemals vergessen: Es ist keine Ensuite-Produktion, wo man einmal Kulissen erbaut und installiert, die dann für Monate oder Jahre so bleiben!

Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet und Beleg großartiger Personenregie. Die Besetzung könnte besser nicht sein. Peter Lesiak als liebenswerter Caractacus singt mit einnehmend warmem Tenor, spielt authentisch und tanzt vorzüglich. Ein Allround-Talent, von dem man sicher noch viel hören und sehen wird.

Nadine Zeintl sah man vor einem Jahr in München noch als sensationell exzessiv-verletzliche Sally Bowles in „Cabaret“, die Rolle als Truly Scrumptious könnte konträrer nicht sein. Jedoch nimmt man ihr diesen Part sofort ab, sie überzeugt schauspielerisch auf ganzer Linie. Gesanglich ist sie im Verbund mit Caractacus und den Kindern ebenfalls sehr präsent, lediglich ihr Solo Du wundervoller Mann passt so gar nicht zu ihrer Stimmlage – dies wirkt befremdlich operettig.

Einen herrlich trotteligen Großvater Potts gibt Frank Berg, gewandet in kolonial-britische Uniform mit Tropenhelm hängt er seinen Indien-Abenteuern nach. Erwin Windegger ist köstlich als der mit dickem Bauch ausgestattete infantil-grausame Baron Bomburst. Seine dominante Baronin spielt Erzkomödiantin Sigrid Hauser einfach nur gnadenlos herrlich überzogen, die um sie inszenierte Nummer Bombie-Samba mit dem sie umgarnenden, spärlichst als Bunnies mit Öhrchen und Stummelschwänzchen kostümierten Männerballett ist ein Showstopper erster Güte.

In allerbester Slapstick-Manier sorgen Hannes Muik und David Jakobs als tollpatschiges Spion-Duo für Gelächter, sobald sie in der Szenerie auftauchen – mal getarnt als Buschwerk, mal als Engländer mit nach wie vor entlarvendem osteuropäischen Dialekt oder auch als Schwimmer mit Flossen und Schnorchel – die Situationskomik der beiden ist einfach nur zum Niederknien.

Mit Burgschauspieler Markus Meyer hat Josef E. Köpplinger erneut, nachdem der Darsteller bereits in „Cabaret“ einen kongenialen Em-Cee geliefert hat, den hochtalentierten Mimen mit ins Boot geholt. Mit strähnigem Haar und bleichgeschminktem Gesicht stelzt Markus Meyer auf hohen Hacken als Kinderfänger dämonisch, immer dem Kinderduft hinterherschnüffelnd, umher.

Selbst die Nebenrollen wie der Spielzeugmacher, Lord Scrumptious und besonders hervorzuheben „Hund Edison“ sind exzellent besetzt.

Allen erwachsenen Darstellern jedoch stehlen die beiden Kinder Marinus Hohmann und Amelie Spielmann die Show. Bewunderswert professionell bewältigen die beiden Knirpse ihre sehr schauspiel- und textintensiven Rollen, singen bombensicher und erobern die Herzen der Zuschauer im Sturm.

Sogar richtige Ohrwürmer nimmt man mit nach Hause: Der Titelsong Tschitti Tschitti Bäng Bäng macht keinerlei Anstalten, sich aus dem Gehörgang alsbald wieder zu verabschieden – mehrere Reprisen sorgen gekonnt für eben diesen Effekt. Teamwork ist ein weiterer Titel, der sehr eingängig ist, ebenso wie Toot Sweets. Sandmännchens Berge ist ein rührendes Schlaflied, das Caractacus für die Kinder singt. Mein Bambusstock ist eine mitreißende Ensemblenummer, in der rasant getanzt und gesungen wird. Und der bereits genannte Bombie-Samba hält keinen mehr auf dem Sitz.

Hochspannend war im Vorfeld die Frage, wie Köpplinger und sein Kreativ-Team das „fliegende Auto“ auf die Bühne bringen werden. Nun, einfach nur genial, ist die Antwort darauf. Punktgenau inszeniert zum Ende des ersten Aktes hin erhebt sich Tschitti unter donnerndem Publikumsapplaus erstmals dank einer Hub- und Drehhydraulik in den nachtblauen Sternenhimmel. Die perfekt eingesetzte Licht-Dramaturgie unterstützt diesen tollen Effekt, das Wunderauto schwebt mit ausgefahrenen neonleuchtenden Flügeln im ehrwürdigen Prinzregententheater. Bravo!

Nach endlosen Beifallsstürmen begibt sich das Premierenpublikum beschwingt auf den Heimweg, vor sich hinsummend „… bäng, bäng, Tschitti Tschitti Bäng Bäng, lieb ich so…“

Unbedingt hingehen, träumen und staunen!

Tickets, weitere Informationen sowie viele schöne Produktionsfotos gibt es unter

http://www.gaertnerplatztheater.de/produktionen/tschitti-tschitti-baeng-baeng.html/m=98

(Silvia Eva Loske, Mai 2014)

Hier geht’s zur Fotogalerie

Musical von Richard und Robert Sherman (Musik und Gesangstexte), Bühnenbearbeitung von Jeremy Sams und Ray Roderick, basierend auf dem Buch von Ian Fleming und dem gleichnamigen MGM-Film. Uraufführung 2002 in London. Deutsch von Frank Thannhäuser

 

Musikalische Leitung

Michael Brandstätter

Regie

Josef E. Köpplinger

Choreographie

Ricarda Regina Ludigkeit

Bühne

Judith Leikauf, Karl Fehringer

Kostüme

Alfred Mayerhofer

Dramaturgie

Michael Otto

Licht

Michael Heidinger

Choreinstudierung

Jörn Hinnerk Andresen

Darsteller:

Caractacus Potts

Peter Lesiak

Truly Scrumptious

Nadine Zeintl

Großvater Potts

Frank Berg

Jeremy Potts

Marinus Hohmann

Jemima Potts

Amelie Spielmann

Baron Bomburst

Erwin Windegger

Baronin Bomburst

Sigrid Hauser

Spion Boris

David Jakobs

Spion Goran

Hannes Muik

Der Kinderfänger

Markus Meyer

Der Spielzeugmacher/Bill Coggins

Frank Winkels

Lord Scrumptious/Ausrufer

Alexander Franzen

Sowie: Kerstin Ibald, Corinna Ellwanger, Andreas Goebel, Nicola Gravante, Evita Komp, Jörn Linnenbröker, Katharina Lochmann, Peter Neustifter, Christian Schleinzer, Susanne Seimel, Patrick A. Stamme, Carl van Wegberg.

Chor, Kinderchor, Ballett und Statisterie und Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz.