REBECCA

Raimund Theater Wien, 3. Dezember 2022

Sie ist zurückgekehrt, die mondäne, geheimnisumwobene REBECCA. Nicht nach dem Cornwall‘schen Manderley, sondern an den Ort ihrer Entstehung, das Raimund Theater in Wien. Dort fand am 28.09.2006 die Uraufführung der Vereinigten Bühnen Wien statt. Und wurde vom Premierenabend an ein fulminanter Erfolg. Den weltbekannten Roman von Daphne du Maurier adaptierte das kongeniale Duo Sylvester Levay (Musik und Orchestrierung / Michael Kunze (Buch und Liedtexte), das den VBW bereits Smash Hits mit Elisabeth und Mozart! bescherte, in ein höchst spektakuläres Krimi-Musical für die Bühne.

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© Karl Schöndorfer/VBW

Als weitere Long-Run Produktion nach Wien wurde das Musical von Ende 2011 bis Januar 2013 erstmals in Deutschland im Palladium Theater Stuttgart aufgeführt. Kurze Spielzeiten im deutschsprachigen Raum fanden weiterhin im Theater St. Gallen, in der Burgruine Tecklenburg und auf dem Magdeburger Domplatz statt, die beiden letztgenannten Produktionen waren als Open Air zu erleben.

Die Pläne, das Erfolgsmusical an den New Yorker Broadway zu bringen, waren leider nicht von Erfolg gekrönt. Vielmehr entwickelten sich die Geschehnisse rund um angebliche Investoren dort zu einem der größten Theaterskandale, es stellte sich heraus, dass alles in New York rund um die Spielserie von REBECCA am Broadway ein Riesenbetrug war. In meinem umfangreichen Interview mit dem Komponisten Sylvester Levay vom Oktober 2012 gibt der Maestro Einblicke in die Hintergründe dieser unglaublichen kriminellen Scharade, hier kann man das nachlesen:

Interview: SYLVESTER LEVAY | Musical Reviews (musical-reviews.de)

Die bekannte Story des Stücks hier nochmals in Kurzform:

In einem mondänen Fünfsternehotel in Monte Carlo 1926 verguckt sich eine junge, etwas unbeholfene und unscheinbare Engländerin, deren Namen wir nie erfahren und die nur als „Ich“ im Stück agiert, in den sich in den besten Jahren befindlichen Adligen Maxim de Winter, der als Mann von Welt dort ebenfalls logiert. „Ich“ ist bei der exaltierten, lauten Amerikanerin Mrs. van Hopper als Gesellschafterin in Diensten.

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© VBW Deen van Meer

Zur Überraschung aller unterbreitet der umschwärmte Maxim der unscheinbaren Ich einen Heiratsantrag,

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© VBW Deen van Meer

man heiratet überstürzt, die Hochzeitsreise führt über Venedig und mündet in der Ankunft des frischvermählten Paares in Cornwall im für Ich einschüchternden Herrenhaus in Manderley, bestückt mit einem Großaufgebot an Hausangestellten, welche dem Regiment der gestrengen, unnahbaren Haushälterin Mrs. Danvers unterstehen. Es zeigt sich, dass Mrs. Danvers der erst vor einem Jahr verstorbenen ersten Frau von Maxim, Rebecca, bedingungslos verfallen ist und die neue Frau an Maxims Seite deshalb nicht akzeptiert und der jungen Ich das Leben auf Manderley zur Hölle macht.

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© VBW Deen van Meer

Es wird offenbar, dass etwas überaus Beklemmendes auf Maxim lastet, er verliert häufig die Beherrschung, insbesondere, wenn die Sprache auf seine erste Ehefrau kommt. Die Fassade bröckelt zusehends, Rebecca war nicht nur schön, sondern ein berechnendes und manipulatives Miststück (pardon…), das ihren Ehemann mit ihren Lügen und Betrügereien zur Weißglut brachte. Um ihren Tod ranken sich Widersprüchlichkeiten, angeblich sei sie in der Bucht von Manderley auf ihrem Boot ertrunken. Als in einer Sturmnacht ein Wrack vor der Küste gefunden und darin die Leiche einer Frau entdeckt wird, zieht sich das Netz um Maxim, der als Hauptverdächtiger am Tod von Rebecca in den Mittelpunkt rückt, immer dichter zusammen…

Die Neuinszenierung jetzt in Wien lehnt sich sehr an die Stuttgarter Fassung an. Bereits dort war die ursprüngliche Golfplatz-Szene „Wir sind britisch“ gestrichen worden und durch das Lied der Hausangestellten „Merkwürdig“ in der Manderley’schen Küche ersetzt worden; „Zauberhaft natürlich“ besingt Maxim seine neue junge Frau auch nicht mehr auf den Klippen von Monte Carlo, sondern auf der Hochzeitsreise in Venedig.

Man hat den Eindruck, dass insbesondere im 1. Akt das Tempo deutlich angezogen wurde, so erscheinen die Szenen auf den Klippen von Monte Carlo, die Hochzeitsreise in Venedig, das Eintreffen der Frischvermählten in Manderley gefühlt im Schnelldurchgang. Auch wenn aktuell die Abläufe in unser aller Leben ganz offensichtlich immer schneller werden und uns manchmal vorkommen wie in hektische Videoclips umgesetzt, so ist dies übertragen auf die Theaterbühne nicht automatisch von Vorteil. Bestimmten Szenen, in denen es auf Emotionalität ankommt, sollte man schon den entsprechenden Zeitrahmen geben, um entsprechende Wirkung zu erzielen.

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© VBW Deen van Meer

Das Bühnenbild von Peter J. Davison ist immer noch großartig anzuschauen mit der zentral riesigen Wendeltreppe im Haupthaus von Manderley. Das Bootshaus an der Küste wirkt jetzt noch baufälliger und verwitterter.

Das Lichtdesign von Mark McCullough ist jederzeit stimmig, oftmals der Dramaturgie folgend entsprechend düster, dann wieder knallig bunt und grell wie beim großen Maskenball von Manderley. Beim  Videodesign merkt man deutlich den technischen Fortschritt in diesem Genre, jetzt erscheinen die eingespielten Videos in schwarz-weiß wie aus alten Filmen. Simon Eichenbergers Choreographie lässt keine Wünsche offen, die Ensembleszenen wie das mitreißende „Strandgut“ zünden perfekt. Birgit Hutter hat neue Kostüme beigesteuert, insbesondere fällt dies bei den extravaganten Kreationen für die exaltierte Mrs. van Hopper auf und bei der Ballszene – anstelle des bislang vorherrschenden Rot erscheinen nun die Gewänder der Ballbesucher in Gold und Glitzer, mit orientalischem Touch.

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© VBW Deen van Meer

Alle Gewerke laufen unter der Regie von Francesca Zambello (inszenierte bereits die Uraufführung in Wien und die Deutschland-Produktion in Stuttgart) wie am Schnürchen, die Szenenwechsel funktionieren perfekt.

Und nicht zu vergessen das wunderbare, üppig besetzte Orchester der Vereinigten Bühnen Wien, wie immer eine große Freude, so etwas in Zeiten von vor allem in Deutschland vom dortigen Long-Run Marktführer praktizierter Orchester-Kaputtsparungen noch erleben zu dürfen. Unter dem Dirigat von Carsten Paap liefern die Musiker einen wundervollen Klangteppich der opulenten Komposition von Sylvester Levay mit ihren zahlreichen Ohrwürmern – im Verbund mit dem Sounddesign von Thomas Strebel wird dies alles zum absoluten Hörgenuss.

Zu den Darstellern: In der besuchten Vorstellung Anfang Dezember war fast die komplette Erstbesetzung auf der Bühne, mit Ausnahme der Mrs. van Hopper, diese wurde wirklich gut von Marja Hennicke anstelle von Ana Milva Gomes mit der erforderlichen punktgenauen Komik interpretiert. Anstelle von Annemieke van Dam als Maxims Schwester Beatrice machte Silke Braas-Wolter ihre Sache gut, insbesondere ihr „Was ist nur los mit ihm“, in welchem sie über die Stimmungsschwankungen ihres Bruders sinniert und dabei von ihrem Mann Giles getröstet wird, gelingt vorzüglich.

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© VBW Deen van Meer

Es war schön, einige bekannte Gesichter im Ensemble wieder zu sehen, wie Florian Fetterle, Robert D. Marx, Denise Jastraunig und Max Niemeyer, die alle bereits in den Vorgängerproduktionen des Stücks im Laufe der vergangenen 16 Jahre zu sehen waren.

Uneingeschränktes Lob und Anerkennung verdient die junge Holländerin Nienke Latten als Ich.

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Mit glockenklarer Stimme und glaubwürdigem Schauspiel zeichnet sie ihren Weg von der unsicheren grauen Maus hin zur erwachsenen, charakterlich stabilen Ehefrau, die ihrem Mann unerschütterlich zur Seite steht. Nun ja, dass die Ich gerade in dem Moment, als ihr Maxim gesteht, für den Tod seiner ersten Frau verantwortlich zu sein, ihn mit Liebesbekundungen geradezu überschüttet, ist so halt im Buch verankert. Für unsere heutige Sichtweise wäre eine derartige Reaktion doch ziemlich aus der Zeit gefallen und zumindest zu hinterfragen.

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Mark Seibert gibt einen, wie nicht anders zu erwarten, gutaussehenden, eleganten und weltgewandten Maxim. Der Künstler liefert zuverlässig wie immer, gesanglich und schauspielerisch. Bannt den Zuschauer mit der rollenbedingten Zerrissenheit, die sich in scheinbar ohne Anlass auftretenden Wutanfällen zeigt und ahnen lässt, dass da ein sehr unbeherrschter Charakter unter der Oberfläche brodelt. Es gibt nichts auszusetzen an seiner Darstellung. Jedoch, und das ist das Unfaire, es drängen sich Vergleiche mit seinen Rollenvorgängern auf. Unvergessen, wie Uwe Kröger in der Uraufführungsspielserie in Wien mit Tränen der Verzweiflung an den Klippen von Monte Carlo gedankenversunken ins Nichts blickt. Und wie in der Stuttgarter Spielzeit Jan Ammanns Verletzlichkeit durch seinen samtenen Bariton stets offenbar wird.

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Ähnliches trifft auch auf Willemijn Verkaik, eine der renommiertesten Musicalladies, in ihrer wirklich guten Interpretation der Mrs. Danvers zu. Sie hat die Herausforderung zu bewältigen, die großen Schuhe ihrer Vorgängerinnen zu füllen. Fast ein Ding der Unmöglichkeit. In Wien seinerzeit verbreitete Susan Rigvava-Dumas allein durch ihre Größe und stets kerzengerade Haltung fröstelnde Unnahbarkeit und unglaubliche Bühnenpräsenz. Und Pia Douwes, der seinerzeit die Schöpfer des Musicals Levay/Kunze genau diese Rolle auf den Leib schrieben, zog in Stuttgart alle in den Bann durch ihre unvergleichliche Mimik und Ausstrahlung. Eine hochgezogene Augenbraue von ihr mit gleichzeitig verächtlich nach unten gezogenen Mundwinkeln sagte mehr als tausend Worte.

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Das Gefühl, das Willemijn Verkaik bei mir auslöste, war in erster Linie Mitleid mit der am Verlust ihrer obsessiv erhöhten Verehrung für Rebecca verzweifelnden Haushälterin. Im zweiten Akt dann wandelt sich Verkaiks Darstellung zusehends in Bösartigkeit der armen Ich gegenüber und nach der Erkenntnis, dass Rebecca ihrer angeblichen Vertrauten maßgebliche Umstände verschwieg, in den Irrsinn anheimfallende Züge.

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© VBW Deen van Meer

Boris Pfeifer als schmieriger Jack Favell, Rebeccas Cousin und einer ihrer Liebhaber, liefert punktgenau, ebenso überzeugt James Park als Gutsverwalter und Maxims bester Freund Frank Crawley in seinem Spiel und mit schöner Stimme. Aris Sas gibt den geistig zurückgebliebenen Ben, der von den unheimlichen Geschehnissen rund um Rebecca mehr mitbekommen hat als den Beteiligten lieb ist. Alles gut.

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© VBW Deen van Meer

Den größten Szenenapplaus räumen die beiden weiblichen Hauptdarstellerinnen der Ich und Mrs. Danvers ab bei der „Rebecca-Reprise“ am Anfang des 2. Aktes auf dem Efeu-umrankten Balkon des mystischen Schlafzimmers der verstorbenen Rebecca. Wie die beiden Künstlerinnen in diesem Duett, in welchem jede für sich ihrer individuell bedingten Verzweiflung Ausdruck gibt, sich gesanglich auf höchste Ebene hochschrauben, ist schon sehr beeindruckend.

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© VBW Deen van Meer

Bemerkenswert ist, dass alle weiblichen Hauptdarstellerinnen aus den Niederlanden kommen. Und in dem Zusammenhang erstaunlich, dass es offenbar nicht möglich ist, aus der Vielzahl an deutschen und österreichischen Musicalschulen entsprechend hochqualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren.

Als dramatischer und inszenatorischer Höhepunkt gipfelt die Story dann im Brand des feudalen Herrenhauses von Manderley. Hier werden alle Register der Theatermagie gezogen unter Einbeziehung von echtem Feuer, lodernden Videoprojektionen und ohrenbetäubend-bedrohlicher Orchestrierung. Auch wenn etwas abgespeckt wurde im Vergleich zur Stuttgarter Produktion (kein brennendes Treppengeländer mehr, keine über die Bühne laufende brennende Mrs. Danvers (das war natürlich ein Stuntman). Trotzdem drückt auch hier in Wien alles zusammen den Zuschauer in den Sessel, lässt ihn wohlig erschauern und fesselt immens.

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Fazit: Das Publikum im gefühlt ausverkauften Raimund Theater spendet zu Recht stehende Ovationen und zeigt sich sehr begeistert. Wer einen durchweg spannenden, in Ausstattung opulenten und in den Darstellerleistungen durchwegs überzeugenden Musicalbesuch mit einigen Ohrwürmern garniert erleben möchte, der ist bei REBECCA im Wiener Raimund Theater bestens aufgehoben.

Hier das gesamte Ensemble am Premierenabend:

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© Karl Schöndorfer/VBW

Als kleiner Wermutstropfen am Rande sei noch erwähnt, dass es offenbar leider eine neue Regelung dahingehend zu geben scheint, dass der Schlussapplaus nur sehr kurz stattfindet, unabhängig davon, wie sehr das Publikum applaudiert. Also nur ein Vorhang und das war es dann, schade.

Hier Fotos vom Schlussapplaus 3. Dezember, alle Fotorechte unterliegen dem Copyright von © Musical Reviews

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Dezember 2022, Silvia E. Loske