DER RING – Rockmusical in Füssen

DER RING – Rockmusical, Premiere 5. Oktober 2018

Fetziges, opulentes Nibelungen-Spektakel in Ludwigs Festspielhaus in Füssen

Wagner goes Musical? Nein, der Opernfreund muss jetzt nicht gequält aufjaulen. Das, was Frank Nimsgern da konzipiert und komponiert hat, grätscht nicht in den hochkulturell heiligen Grünen Hügel von Bayreuth hinein. Es wird zwar der Ring des Nibelungen als Musical bedient, aber es ist eine ganz eigene Gattung, eine andere Herangehensweise an den Stoff, ohne jemals auch nur ansatzweise der Deutschen ureigensten Mythos um die Nibelungensaga zu beschädigen. Thematisch kommen hier die Götterdämmerung, das Rheingold sowie der Drachentöter Siegfried komprimiert in 120 Minuten überaus unterhaltsam und kurzweilig, mit knackig-fetzigem Rock ausgelegt, daher.

Nach der Uraufführung des Musicals 2007 am Theater Bonn und einer Neuinszenierung 2016/2017 am Theater Hof dockt das nochmals überarbeitete und an die besondere Bühne angepasste Stück nun erstmals im prächtigen, im Übrigen an das Festspielhaus Bayreuth angelehnte Ludwigs Festspielhaus am malerischen Forggensee, direkt gegenüber von Schloss Neuschwanstein, welches ja bekanntlich vom glühenden Wagner-Verehrer König Ludwig II. errichtet wurde, an. So schließt sich ein Kreis.

Die Geschichte konzentriert sich auf die Protagonisten Alberich, Gott Wotan, dessen Tochter Brunhild und Siegfried und deren Verstrickungen rund um den Ring der Macht.

Kurz zusammengefasst geht es um Folgendes: Die Götter geben den Menschen den Ring, um sie zu prüfen und pflanzen damit die Habgier in ihre Herzen. Angesichts der Kriege, die aus Neid und Hass entstehen, entziehen die Götter ihren Untertanen den Ring, Windgott Wotan versenkt ihn zusammen mit dem Rheingold in den Tiefen des Rheins, bewacht von seinen drei himmlischen Töchtern.

Diese langweilen sich nach über 1000 Jahren des Bewachens gar schwer, überdies wissen sie nicht wohin mit ihrer Libido. Aus Unachtsamkeit und auch einem gewissem Grad an Dämlichkeit lassen sie sich Ring und Rheingold von dem plötzlich in den Fluten auftauchenden Nibelungen-Zwerg Alberich abjagen.

Dieser begründet mit dem Ring seine Schreckensherrschaft in Nibelheim, was wiederum Wotan nicht verborgen bleibt. Der sonnt sich selbstherrlich in seinem von den beiden Riesen Fasolt und Fafner errichteten Alterssitz Walhall,

steht aber vor dem Problem, die beiden Riesenbrüder, wie von ihm vor hunderten von Jahren versprochen, für ihre Dienste mit dem Ring auszahlen zu müssen. Wotan macht sich also incognito auf den Weg zu Alberich und jagt diesem mit einer List den Ring ab und händigt ihn den Riesen aus.

Wie nicht anders zu erwarten, missbrauchen die beiden Riesenbrüder die ihnen dadurch verliehene Allmacht und so erschlägt habgierig der eine Bruder den anderen. Der übriggebliebene Riese verwandelt sich in einen Drachen, der einsam in einer Höhle nun über den Ring wacht.

Der übertölpelte Alberich sinnt derweil auf Rache und erschafft aus Eisen und Stahl einen Helden: Siegfried. Alberich schickt Siegfried los, den Drachen zu besiegen und den güldenen Reif zurückzuholen. Nicht bedacht hat Alberich dabei, dass nun auch Siegfried von der Macht des unheilbringenden Rings erfasst wird.

In Walhall indes konfrontiert die couragierte Brunhild ihren Vater Wotan mit dessen Egomanie, seiner verantwortungslosen Gleichgültigkeit dem Menschenvolk gegenüber und bezeichnet ihn als müdes, altes Tier.

Das wiederum erzürnt Wotan als Vater und Herrscher dermaßen, dass er seine Lieblingstochter verstößt und in einem Ring aus Feuer (im Stück der große Kronleuchter) in ewigen Schlaf versetzt.

Siegfried rettet Brunhild aus diesem Feuerring, die beiden vergucken sich ineinander,

Siegfried besiegt und entmachtet Wotan im Kampf und wird dadurch zum Alleinherrscher über die Menschheit.

Brunhild muss erleben, wie nun auch ihr Liebster der bösen Allmacht anheimfällt und beschließt zu handeln: Sie erdolcht ihren Vater und veranlasst Siegfried, ebenfalls selbiges mit Alberich zu tun, um von dem düsteren Einfluss ihrer beiden Väter befreit fortan ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

So wird der Mythos des Kampfes um den Ring des Nibelungen voller Spannung und Erotik, Liebe und Leidenschaft, Gier und Begierde, All- und Ohnmacht, Aufstieg und Fall modern in opulenter Wucht, mit großen Rockballaden und mitreißenden Choreographien auf die außergewöhnliche Bühne von Ludwigs Festspielhaus gebracht. Von den Möglichkeiten dieser Bühne mit Europas größter Theaterdrehbühne und natürlich überaus spektakulär den im Bühnenboden hochfahrbaren See wird bei der Inszenierung weidlich Gebrauch gemacht. Der Schauwert ist enorm.

Hinzu kommt als großer Pluspunkt die überaus vielfältige Partitur von Frank Nimsgern – er bedient sich neben treibenden Rocksounds mit reichlich E-Gitarren-Wumms bei Pop, Soul, Gospel und Flamenco-Elementen, sogar gerappt wird zum Vergnügen des Publikums Anfang des zweiten Akts mit dem Fisch-Rap, dargeboten von einer der Rheintöchter.

Aus den Stilrichtungen entstanden sind kraftvolle Soli und vor allem sehr mitreißende und berührende Duette, deren Melodien sich schnurstracks in den Gehörgang winden, es sich dort bequem machen und zu Ohrwürmern mutiert dort längerfristig einnisten. Besonders hängen bleiben die Titel Macht sowie die Duette zwischen Brunhild und Wotan Was kommt bleibt und Lass uns Erinnerung sein sowie das Duett zwischen Brunhild und Siegfried Lass es Liebe sein. Unterstützt von vorab eingespielten Orchestersequenzen spielt eine vierköpfige Band live unter Nimsgerns Dirigat und er selbst spielt grandios die E-Gitarre. Mehrmals ploppen Riffs auf, die sofort an Queen-Creative Brian May erinnern.

Sehr schöne Melodien sind Frank Nimsgern hier gelungen, von den Texten kann man das leider nicht uneingeschränkt sagen. Diese sind zur rechten Zeit platt und auf Biegen und Brechen so hingezimmert, dass sie sich doch irgendwie letztlich reimen müssen („war ich mal die letzte Nulpe blüh ich heute wie die Tulpe“, „wenn Du die Karten legst, Pique oder Herz, Du hast den Schmerz“). Das engagierte und kreative Festspielhaus-Team um Theaterdirektor Benjamin Sahler stellt stetig unter Beweis, dass es die am Forggensee aufgeführten Werke, allen voran Ludwig2, durch behutsame Weiterentwicklungen zu optimieren in der Lage ist. So wäre auch beim „Ring“ die Hoffnung angebracht, dass – sofern das Stück eine mittelfristige Zukunft im Festspielhaus haben sollte (wovon man nach der bejubelten Premiere ausgehen kann) – insbesondere am Libretto weiter gefeilt wird.

Erklärende verbale Einspielungen aus dem Off und per Videoprojektion oberhalb der Bühne sind vonnöten, um den umfassenden Handlungsverlauf näherzubringen. Diese Erklärungen kommen mit reichlich Pathos unterlegt daher, als Ausgleich zum manchmal dick aufgetragenen Schwulst kommen dankenswerterweise Humor und Ironie im Stück nicht zu kurz.

Das Bühnenbild ist aufgrund der großen Drehbühne und des bei Bedarf hochfahrenden Sees sehr wandelbar. Als Hauptspielort zeigt sich Göttervater Wotans prächtiges Walhall mit breitem Treppenaufgang, riesigem illuminierten Kronleuchter (dessen Innenfläche bespielt und effektvoll samt menschlichem Inhalt heruntergefahren respektive hochgezogen wird). Die Rückseite der Drehbühne stellt rot ausgeleuchtet die Unterwelt dar, in welcher unter anderem Siegfried vom rachelüsternen Zwerg Alberich aus Eisen und Stahl geschmiedet wird, eine dortige Empore bietet eine zusätzliche Spielebene.

Für spontanen Szenenapplaus sorgt der höchst phantasievolle und doch verblüffend einfach konstruierte, mit glühenden Augen versehene und Rauchschwaden schnaubende Drache. Wie das Sagentier auf der Bühne entsteht, sei hier nicht verraten, um Erstbesuchern nicht den Überraschungs-Wow-Moment zu nehmen. Doch soviel sei gesagt: Da entsteht sie mal wieder, die berühmte Theatermagie.

Eine anmutige Akrobatin zeigt zu Beginn des ersten Akts in einem großen Ring in schwindelerregender Höhe ihr Können.

Die Kostüme sind, verglichen mit der Erstaufführung 2006, nun weitaus geschmackvoller gehalten. Die drei Rheinamazonen sind in körpernahe knöchellange Paillettenkleider gehüllt, die Schuppen-Assoziationen herleiten. Brunhild und ihr Vater Wotan sind göttergerecht in wallende bodenlange Kleider bzw. Mäntel gewandet, die zehn Tänzer/innen stecken in zweckmäßigen schwarzen Tanzhosen, Tanktops und Bustiers. Alberich, der Zwerg, sieht outfit-technisch am ehesten menschlich aus. Seine Schöpfung Siegfried hingegen ist, ganz Held-gerecht, ein Eyecatcher mit Ganzkörper-Patina bepinselt und die meiste Zeit oberkörperfrei agierend.

Die Choreographien kommen höchst energetisch, wild-ungestüm und vom zehnköpfigen Tanzensemble exakt und synchron umgesetzt daher. Die Tänzer/Innen haben ordentlich zu tun, sie sind bei vielen Szenen im Einsatz.

Manchmal ist dies, wenn auch mitreißend dargeboten, etwas zu viel, so insbesondere bei der Szene der Erschaffung Siegfrieds durch Alberich. Durch die herumwirbelnden Tänzer geht diese Schlüsselszene im Hintergrund fast unter, da könnte man gut nachbessern.

Das sehr aufwendige Lichtdesign mit viel mystischem Blau-Grün und fahlem Kaltlicht in den Unterwelt-Szenen trägt bedeutend zur atmosphärischen Dichte bei, leider stehen hin und wieder die Hauptdarsteller am Szenenanfang im Dunkeln, weil die Verfolger nicht rechtzeitig betätigt werden. Das größere Ärgernis jedoch ist der Ton: Die Soundaussteuerung lässt deutlich zu wünschen übrig, die Textverständlichkeit bleibt in großen Teilen auf der Strecke, insbesondere der Darsteller des Siegfried muss gegen die zu laut ausgesteuerte Band ankämpfen. Dass überdies die Mikroports der Darsteller nicht pünktlich aufgeschaltet werden ist ein weiteres Manko. Da dies auch kürzlich bei „Ludwig2“ passierte (bedauerlicherweise ausgerechnet bei Pia Douwes), scheint dies ein hausinternes Problem der Festspielhaus-Mannschaft zu sein.

Was neben der modernen, frischen Komposition den Erfolg dieses Rockmusicals ausmacht, ist die hervorragende Cast, allen voran die vier Hauptdarsteller.

Dem Charakter des mächtigen Windgottes Wotan verleiht Publikumsliebling Jan Ammann wahrhaft imposant mit erneut beeindruckender Stimmgewalt und bühnenfüllender physischer Präsenz das erforderliche Format. Die übrige Cast um einen Kopf überragend steht der Künstler auf der großen Füssener Bühne, die mittlerweile fast so etwas wie sein zweites Wohnzimmer geworden ist, bei jedem seiner Auftritte unweigerlich im Zentrum des Geschehens. Wenn er dann noch mit seinem besonderen Bariton die Schlusstöne ins gefühlt Unendliche trägt erreicht er damit volltönend auch den letzten Platz im großen Auditorium. Einen Künstler als Rollen-Idealbesetzung zu bezeichnen ist gerade im Musicalbereich bereits recht inflationär besetzt, jedoch kann man nicht umhin, in diesem Fall die  Rechtmäßigkeit zu bestätigen.

Chris Murray in der dankbaren Rolle des Zwergs Alberich kann sich hier so richtig austoben und hat durch sein punktgenaues komödiantisches Timing die Lacher auf seiner Seite. Für einen Vollblutschauspieler wie ihn ist die Rollenanlegung des ewigen Losers das genau richtige Futter, um aus dem Vollen zu schöpfen. Dass er daran so richtig Spaß hat, ist mehr als offensichtlich. Erschwerend kommt hinzu, dass er sowohl persönlich großer Wagner-Fan ist und überdies auch als Tenor in Wagner-Opern auf der Bühne steht. Also ist er hier in diesem Stück sowas von an der für ihn richtigen Stelle.

Der klassische germanische Held Siegfried, der Drachentöter, ist bei Christopher Brose in den allerbesten Händen. Er hat alles, was es für diese Rolle braucht: drahtig gut definierte Optik, sehr gute Beweglichkeit mit perfekter Körperkoordination, ungestümen jugendlichen Charme, einen tollen Pop-Tenor und hohes Sympathiepotenzial.  Gleich zweimal darf er heldenhaft das Schwert schwingen: einmal gegen den Drachen und dann auch noch gegen Wotan, letztere Szene entpuppt sich durch den aufwendig choreographierten Schwert-/Speerkampf als ein Highlight im zweiten Akt.

Wotans Lieblingstochter Brunhild interpretiert Anke Fiedler und überzeugt mit absolut sicher geführter Stimme, liebreizendem Aussehen und glaubhafter Darstellung der klugen, immer wieder mutig an Verantwortung und Menschlichkeit sowohl ihrem Vater als auch ihrer Liebe Siegfried gegenüber appellierende Göttertochter.

Die drei Rheinamazonen, weitere Töchter Wotans, agieren zum Vergnügen des Publikums im wahrsten Sinne des Wortes so richtig „blond“ und bedienen den Sidekickpart der Show vorzüglich. Sie sind zuständig für die Soul- und Gospeltitel in der Show und liefern dabei richtig ab.

Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert, jubelte und trampelte und rockte beim Schlussapplaus-Megamix so richtig ab. Mit dieser frischen Version der ältesten germanischen Sage erreicht man auch ein jüngeres Publikum.

Als Fazit wäre zu wünschen, dass Der Ring als rockig-augenzwinkernder Gegenpol zu den beiden anderen thematisch tragisch-düsteren Festspielhaus-Produktionen Ludwig2 und Die Päpstin seinen Platz im Spielplan finden möge. Letztlich wird die Auslastung darüber entscheiden, ob dies der Fall sein wird.

Infos zu Spielplan und Tickets gibt es hier unter diesem Link:
https://das-festspielhaus.de/

Silvia Eva Loske, Oktober 2018

Alle Fotos unterliegen dem alleinigen Copyright von Musical Reviews

Musical von Frank Nimsgern (Musik und Konzept) und Daniel Call (Libretto)
Produktion der Big Dimension GmbH

Kreative
Musikalische Leitung Frank Nimsgern
Regie Reinhard Friese
Produktionsleitung Stefanie Gröning
Szenische Einstudierung Benjamin Sahler und Christoper Brose
Choreographie Marvin A. Smith
Bühne Benjamin Sahler nach Original-Bühnenbildern von Herbert Buckmiller
Kostüme Annette Mahlendorf
Ton Kai Becker, Clayton DeGuerre
Licht Tino Tiesler
Darsteller
Wotan Jan Ammann
Alberich Chris Murray
Siegfried Christopher Brose
Brunhild Anke Fiedler
Rheinamazone Zärtlichkeit Kathy Savannah Krause
Rheinamazone Lust Kristin Backes
Rheinamazone Schmerz Stefanie Gröning
Ringakrobatik Vera Horn
Tänzer/innen: Michaela Praher, Kristy Ann Butry, Ann Kathrin Wurche, Julie Martin, Marlou Düster, Vera Horn, Sebastian Wunder, Michael Fiech, Gregor Continanza, Valerio Croce
Ensemble: Sophie Böhmländer, Julia Böhmländer, Sonja Anzenhofer, Sandra Behrends, Nicole Buhl, Pia Weirather, Günther Kirchner, Florian Kügle, Michael Karle.
Band: Frank Nimsgern, Dr. Konstantinos Kalogeropoulos, Stefan Engelmann, Stephan Schuchardt